Und Jimmy ging zum Regenbogen
und kletterte durch ein Loch im Gitter des Zaunes. Dieser Sportplatz gehörte dem Institut und dem Mädchen-Lyzeum gemeinsam. Weit hinten, an seinem Ende, erstreckte sich Gesträuch und Unterholz, durch das Heinz nun schritt, und hinter diesem erhob sich eine baufällige Baracke, in der allerlei Werkzeug, eine Planierwalze, Geräte und Gerümpel jeder Art ruhten. Sie mußten schon seit einer Ewigkeit hier ruhen, denn sie waren allesamt verrottet und verrostet. Die kleine Hütte schien man ganz vergessen zu haben. Heinz hatte sie entdeckt – vor einem Jahr. Das Schloß der Eingangstür konnte man leicht mit einem Stück gebogenem Draht öffnen. Hierher kam niemals jemand. Wenn keine Klasse turnte, war man weit entfernt von allen Menschen. Und geturnt wurde nur am Vormittag. Das alles hatte Heinz beobachtet und wieder beobachtet, bevor er Bianca von der Baracke erzählte. Nun stieß er mit einem Schuh dreimal kurz, zweimal lang gegen das Holz der Tür und öffnete sie. Im nächsten Moment stand Bianca vor ihm – in der geliebten weißen Bluse, einem schwarzen Rock, einem schwarzen Jäckchen. Ihre Schulmappe lag auf einer Kiste. Heinz schloß die Tür hinter sich. Jetzt war es dämmrig in der Hütte. Licht fiel durch Ritzen und erblindete Scheiben. Es roch nach Leder, Erde, altem Holz.
»Servus, Heinz!« Bianca strahlte ihn an.
»Servus!« Sie schüttelten sich die Hände, wie Jungen es tun. »Ich habe mich beeilt, so sehr ich konnte … Bist du schon lange da?«
»Ein paar Minuten.« Sie sah ihn zärtlich an. »Ich habe es ja auch näher – von unserm Schulgarten aus …« Bianca setzte sich auf eine alte Bank. »Komm zu mir. Da, ich habe dir etwas mitgebracht …« Sie hielt ihm einen großen, leuchtend roten Apfel hin.
Er wollte ihn nicht nehmen. Auf keinen Fall! Aber er mußte.
Zuletzt brachen sie ihn entzwei, jeder aß eine Hälfte. Irgend etwas bewegte Heinz, Bianca fühlte es. Sie war so groß wie er, und sie hatte den Körper einer erwachsenen Frau. Sanft zeichneten sich unter der Seidenbluse ihre Brüste ab. Er wird mir schon noch alles erzählen, er erzählt mir doch immer alles, dachte Bianca und fragte kauend: »Kennst du den Siegler und den Mach?«
Er nickte und sagte mit vollem Mund: »Vierter Jahrgang sind die schon. Was ist mit ihnen?«
»Die haben sich heute früh vor unserer Schule geprügelt.« Bianca strich über sein Haar und sah ihn an. »Die Pertramer hat zugeschaut. Die kennst du nicht. Eine besonders Hübsche aus der Siebenten. Richtig geprügelt.«
»Aber warum?«
»Na, wegen der Pertramer natürlich. Der Mach hat zuletzt aus der Nase geblutet und geheult. Ich finde das blöd, diese ewigen Prügeleien … nur wer am stärksten ist! Als ob es danach ginge. Du wirst nie so …« Sie streichelte jetzt seine Wange und rückte noch näher. Leise fragte sie: »Wenn du nach Amerika gehst, nimmst du mich dann auch bestimmt mit?«
»Ich kann nur nach Amerika gehen, wenn wir den Krieg verlieren.«
»Na, aber den verlieren wir doch – hast du selber gesagt!«
Er murmelte: »Man kann nicht gegen vier Fünftel der Welt einen Krieg gewinnen, das ist klar. Und schrecklich.«
»Schrecklich? Aber wenn wir gewinnen würden, könnten wir doch nie …«
Sein Gesicht verzerrte sich jäh zu einer Fratze des Hasses.
»Eben! Dank meinem Vater, dem Saujuden!«
Sie rückte von ihm ab.
»Heinz!«
»Na, es ist doch wahr! Schau mich an! Was bin ich seinetwegen? Geduldet, gerade noch geduldet. Wir dürfen uns nicht öffentlich sehen lassen. Ich darf nicht auf die Uni. Ich muß das Maul halten, immer. Das verdanke ich ihm, diesem …«
»
Heinz!
Ich geh weg, wenn du es noch einmal sagst. Du hast mir versprochen, daß du nie mehr so über deinen Vater redest. Er kann doch schließlich nichts dafür. Hat er sich seine Eltern aussuchen können?«
»Hat meine Mutter ihn heiraten müssen?« Heinz schleuderte den Apfelstrunk in eine Ecke. »Überhaupt keinen Instinkt hat die, kein Gefühl für das, was man einfach nicht tun darf! Und ich, ich bade es aus.«
Sie streichelte ihn wieder.
»Es geht doch … So arg ist es doch nicht … Viele sind auch sehr nett zu dir. Und schau, zum Beispiel mußt du nicht Soldat werden.«
»Ich wäre aber gern Soldat geworden!«
»Und ich wäre dann jeden Tag gestorben vor Angst um dich. Und ich will unbedingt leben mit dir!« Jetzt schmiegte sie sich an ihn, der verlegen und steif dasaß. »Weil du mir lieber bist als der Mach und der Siegler und alle
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