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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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hatte sich, bemerkte er jetzt, schon fast an den Gedanken gewöhnt, daß Friedjung vor Kriegsende nach Argentinien geflüchtet und sein Vater war. Idiot, sagte er nun zu sich selbst, idiotischer Idiot! Also doch ein reiner Spionagefall. Und Valerie Steinfeld tötete meinen Vater im Auftrag von –
von wem?
Amerikanern? Russen? Franzosen? Albanern? Chinesen? Ich muß achtgeben, daß ich nicht verrückt werde!
    »… 25. Februar 1945, gegen Mittag, ein schwerer Angriff amerikanischer Bomber statt«, klang die Stimme Schäfers an Manuels Ohr. Er nahm sich zusammen. Der Inspektor breitete Papiere vor ihn auf den Schreibtisch, unter dessen großer Glasscheibe das plattgepreßte, grün-silberne Ginkgo-Blatt lag, wies auf mit Hand oder Maschine geschriebene Daten, Namen, Zeiten, Anmerkungen. »Besonders schwer betroffen wurden der Zweite, der Zwanzigste und der Einundzwanzigste Bezirk. Schäden entstanden auch in der Innenstadt und in den nordwestlichen Vororten. Die Staatsschule für Chemie wurde bei diesem Angriff völlig zerstört …«
    Davon hatten die Barrys gesprochen, erinnerte Manuel sich.
    »Es kamen fünfunddreißig Menschen ums Leben – achtundzwanzig Studenten, sieben Lehrer, darunter Karl Friedjung. Sie saßen alle in dem linken Luftschutzkeller des Gebäudes. Eine Bombe durchschlug das oberste Stockwerk, explodierte in der Mitte, und der linke Keller stürzte teilweise ein. Die Leichen wurden mühsam geborgen … Hier der Bericht der Rettungsmannschaft.«
    »Das heben Sie heute noch auf?« Manuel starrte auf drei stark vergrößerte Fotografien von vergilbten Blättern.
    »Es war ein öffentliches Gebäude. Da gibt es ein Archiv.« Schäfer sprach leise und beklommen. »Einhundertneunundzwanzig Lehrer und Studenten in dem andern, rechten Keller überlebten, zum Teil verletzt. Im linken Keller überlebte niemand. Die Leichen waren stark verstümmelt …«
    »Wie konnte man ihre Identität nachweisen?«
    »Durch ihre Personaldokumente, die sie bei sich trugen, und durch ihre Angehörigen. Hier, der polizeiliche Bericht, hier der Bericht des Notarztes. Aus dem polizeilichen Bericht geht hervor, daß Frau Friedjung ihren Mann identifizierte. Der betreffende Tote hatte auch seine Dokumente … Ich fragte Frau Friedjung heute noch einmal. Sie war und ist ihrer Sache ganz sicher. Am 27. Februar 1945 wurde ihr Mann dann hinter der Kirche ›Maria Schmerzen‹ beigesetzt.«
    »Was macht Frau Friedjung jetzt?«
    »Sie hat die untere Etage der Villa vermietet. Und sie erhält eine Rente. 2115 Schilling und 30 Groschen. Hier, bitte.« Ein neues Papier. »Es sagten damals übrigens auch noch andere Lehrer und Studenten aus, daß dieser Tote Karl Friedjung, ihr Direktor, sei. Es gibt keinen Zweifel. Das ist eine Aufnahme des Grabes.«
    Es war eine sehr gute Aufnahme. Man konnte sogar die kleinen Inschriften auf dem großen Stein lesen. Danach wurde Karl Friedjung am 2. April 1904 geboren. Das hieß, er war bei seinem Tode einundvierzig Jahre alt gewesen …
    Und mein Vater, dachte Manuel, wurde 1908 geboren. Am 25. August. Da haben wir immer seinen Geburtstag gefeiert. Natürlich, wenn er mit gefälschten Dokumenten lebte … Hör auf! sagte Manuel zu sich. Hör sofort auf! Dein Vater war nicht Friedjung, daran ist nicht zu rütteln!
    »Das wäre alles, Schäfer«, sagte Groll. »Ich danke Ihnen sehr für Ihre gute Arbeit. Gehen Sie nun nach Hause, Sie werden todmüde sein. Die Papiere lassen Sie hier, damit Herr Aranda sie in Ruhe ansehen kann.«
    »Jawohl, Herr Hofrat.« Schäfer verabschiedete sich, höflich und traurig.
    »Ich danke Ihnen auch«, sagte Manuel.
    »Es freut mich, wenn ich helfen konnte«, antwortete der Inspektor.
    »Das haben Sie. Wir dürfen jetzt eine Möglichkeit in diesem Fall mit Gewißheit ausschließen«, sagte Manuel, und der Hofrat nickte.
    Inspektor Ulrich Schäfer verließ das Büro seines Chefs. Mit einem Volkswagen fuhr er heim. Er wohnte im Siebenten Bezirk, in der Seidengasse, ganz nahe der Neubaugasse. Zwei Drittel aller Häuser Wiens sind älter als hundert Jahre. Das Haus, in dem Schäfer wohnte, gehörte zu diesen ehrwürdigen, aber heillos unmodernen Gebäuden. Es war wenigstens noch gut erhalten. Aber es gab keinen Lift, keine Zentralheizung. Seit langer Zeit lebte Schäfer allein hier – ohne Carla …
    In dieser Nacht sperrte er die Wohnungstür auf, trat in die frostige Diele, bückte sich mechanisch nach der Post, die durch den Briefschlitz auf den Fußboden gefallen

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