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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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alles soll Zufall sein? Wie das ineinandergreift! Wie sich das dauernd ergänzt und kreuzt – die Geschichten über den Prozeß, die Geschichte dieses Spionagefalls! Was mir passiert, was Fräulein Waldegg passiert – Zufälle, Zufälle? So viele Zufälle gibt es nicht, Herr Hofrat!«
    »Augenblick! Den Zufall, den verwechseln wir zu oft und zu gern mit dem völlig Regellosen. Aber der Zufall hat seine Gesetzmäßigkeiten, lieber Herr Aranda.«
    »Wo sind Gesetzmäßigkeiten hinter dem, was ich erlebe, was meinem Vater den Tod brachte, was Frau Steinfeld den Tod brachte?«
    »Ich werde es Ihnen erklären«, sagte Groll freundlich. »Und zwar, denke ich, am Beispiel der Sterbetabellen der Lebensversicherungsgesellschaften.« Er beleckte den Zeigefinger und glättete ein Blatt der Virginier, das sich gelöst hatte. »In diesen Tabellen steht zum Exempel zu lesen, daß von den – sagen wir – im Jahre 1895 in Österreich Geborenen im Jahre 1969 – na, irgendeine Zahl! – 9532 sterben werden. Zufällig sterben werden. Und mit ein paar Menschen mehr oder weniger sterben dann tatsächlich so viele. Bloß,
wer
vom Jahrgang 1895 stirbt, ob der Huber oder der Platschek – das sagt die Tabelle nicht. Der Zufall wird von
statistischer
Gesetzmäßigkeit registriert.«
    »Was hat das alles mit …«, begann Manuel.
    »Warten Sie, noch einen Moment. Der Platschek, sagen wir einmal, stirbt nicht. Der Huber, sagen wir, stirbt – als einer von den 9532 Menschen seines Jahrgangs.
Aber:
Was der Familie Huber nun als schrecklicher Zufall erscheinen muß, nämlich, daß der Großvater von einem Auto überfahren wurde, das erweist sich, sobald es eingetreten ist und man die Ereignisse Schritt um Schritt
rückwärts
aufdröselt, als
eine Kette von Ursachen und Wirkungen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Schauen Sie: Großvater Huber ist – immer alles angenommen – um 17 Uhr 35 aus dem Haus gegangen. Das tut er täglich, um seinen Freund Platschek zu treffen – in einem kleinen Wirtshaus, wo sie ihre ein, zwei Viertel trinken. Platschek ist Großvater Hubers Freund: Im Ersten Weltkrieg war er bei derselben Batterie. Zur gleichen Batterie kamen die beiden, weil sie vom gleichen Jahrgang sind und im gleichen Bezirk wohnten. Das wieder hat seine Ursache darin, daß auch ihre Eltern schon in der – na, zum Beispiel – in der Josefstadt gewohnt haben. Und nun kann man, wenn man Zeit und Lust hat, zurückverfolgen, warum die Eltern in der Josefstadt lebten – und so fort und fort, falls die Urkunden nicht schweigen, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Jahrhundert um Jahrhundert.« Groll klopfte auf die Glasplatte. »Nicht anders ist es mit dem Autofahrer – nennen wir ihn Zauner –, der den tödlichen Unfall verursacht hat, indem er Großvater Huber überfuhr. Zauner raste um 16 Uhr 30 los, weil er mit seinem Mädchen verabredet war – und diese Bekanntschaft hat
wieder
ihre Geschichte, in der
eine
Ursache die Wirkung der
nächsten
war. Fangen Sie an, zu verstehen?«
    »Ich glaube ja«, sagte Manuel.
    »Schön. Und zu dem Unfall kam es, weil der verliebte junge Zauner sich verspätet hatte und zu schnell fuhr. Und er hatte sich verspätet, weil er zu lange im Büro saß. Und da saß er zu lange, weil sein Vorgesetzter noch etwas von ihm wollte, weil eine Reklamation eingegangen war, weil eine Lieferung sich verzögerte, weil, weil, weil. Deshalb
mußte
also Huber
sterben,
scheinbar durch einen unglücklichen Zufall, und sein Freund Platschek
durfte weiterleben,
scheinbar zufällig.«
    Manuel sagte: »Ursache und Wirkung! Wenn dieses System … wenn diese …«
    »Kausalketten.«
    »Wenn diese Kausalketten sich immer anwenden lassen, dann hat also doch alles im Leben seine ›Bestimmung‹, wie manche Leute behaupten. Daß ich hier sitze und nicht in Buenos Aires; daß mein Vater tot ist; daß Valerie Steinfeld tot ist; daß ich Nora Hill kennengelernt habe; daß ich jetzt, anstelle meines Vaters, in einen Spionagefall verwickelt bin; daß Karl Friedjung im Luftschutzkeller gestorben ist; daß ich Sie kennengelernt habe; daß ich versuche, die Wahrheit zu finden …«
    »All das, und hunderttausend Dinge mehr, das sieht ganz nach ›Bestimmung‹ aus, ja«, sagte Groll.
    »Und stimmt es nicht?«
    »Nein, so stimmt es nicht. Heute wissen wir das – und zwar aus den Erkenntnissen der Atomphysik. Ein Gramm Radium zerfällt unter Alpha-, Beta- und Gammastrahlung derart, daß nach – ich glaube – 1580 Jahren nur noch

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