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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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erlitten haben. Dort, wo sich das rechte Ohr befunden hatte, sah man eine dicke, wulstig zugewachsene, zerklüftete Narbe. (»Ich höre sehr gut, Herr Aranda, solange ich nur mit
einem
Menschen rede und sonst keine Geräusche, Stimmen, Musik oder Lärm da sind. Wenn das der Fall ist, muß man allerdings links von mir sitzen …«)
    Der Anwalt trug einen grauen Flanellanzug, eine Weste mit buntem Schottenmuster, ein weißes Hemd, eine schwarze Strickkrawatte und schwarze Slipper. Er war richtig in Eifer geraten beim Vorzeigen seiner Schätze. Auf den Regalen stand mindestens ein Dutzend weiterer Schiffe, auf dem vollgeräumten Arbeitstisch war ein halb fertiges im Bau, wie in einer richtigen Werft aufgebockt.
    »… hier baue ich gerade die ›Cutty Sark‹. Einer der größten Segler der Welt war das, ein besonders schönes Schiff! Schwarz der Rumpf, weiß die Segel!«
    Es klopfte.
    Eine dicke, rundgesichtige Haushälterin mit schwarzem Kleid und weißer Schürze trat ein.
    »Herr Doktor, ich hab jetzt den Kaffee in Ihr Zimmer gebracht.«
    »Wir kommen schon!« Der alte Anwalt mit dem fehlenden Ohr erklärte:
    »Unsere gute Anna! Ab und zu muß sie hier aufräumen. Zuerst war sie entsetzt. Jetzt hat sie mir verziehen.«
    »Sind doch so schön, die Schiffe, die der Herr Doktor macht«, sagte die Anna errötend und verschwand.
    Forster sah Manuel an.
    »Schiffe macht der Herr Doktor, nur noch Schiffe. Seit Jahren. Ich weiß, was Sie denken«, murmelte er.
    »Was denke ich?«
    Der Anwalt lächelte.
    »Er möchte fort, der alte Mann, denken Sie. Weit, weit fort von hier möchte er, aber das geht nicht mehr, und so baut er seine Traumschiffe, die einst so weit, weit fort von hier, ihre Bahn zogen. Stimmt’s?«
    »Ich … nein, also wirklich, das habe ich nicht gedacht«, sagte Manuel, der genau das gedacht hatte.
    »Aber ja doch, man sieht es Ihnen an. Und es ist auch richtig. Ich
möchte
weg von hier, schon lange, und immer mehr, je älter ich werde und je unmöglicher es ist.«
    »Warum?«
    »Diese Stadt«, sagte Forster. »Und diese Menschen. Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Keine beglückenden. Eine herrliche Stadt ist Wien – wenn man weit weg von Wien sein kann. Dann hat man wahrscheinlich sogar Heimweh. Ich denke, ich hätte keines. Aber ich kann auch nicht weg. Gleich nach dem Krieg, da war es mir aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Dann mußte ich die Kanzlei wieder auf die Beine bringen und Geld verdienen – eine Frau und einen großen Sohn hatte ich. So vergingen die Jahre. Meine Frau ist gestorben, der Sohn hat die Kanzlei übernommen, ich bin alt geworden. Nun, wenigstens kann ich meine Schiffe noch bauen, wenn ich schon nicht mehr fortfahren kann, fort, fort, weit fort von hier …«

25
    Ein Tisch in dem mit kostbaren Empiremöbeln eingerichteten Wohnzimmer war liebevoll gedeckt. Manuel betrachtete beklommen die so schrecklich entstellte rechte Gesichtshälfte Forsters, während der Anwalt Kaffee eingoß und die ›Mehlspeis‹ rühmte, die auf dem Tisch stand: »Das sind Topfenkolatschen, eine Spezialität der Anna. Hat sie eigens für uns gemacht. Bitte, greifen Sie zu!«
    Von unten klangen plötzlich sehr gedämpft wilder Jazz und wilder Gesang herauf.
    »Die Tochter meines Sohnes«, erklärte Forster. »Gibt eine kleine Party. Für lauter Beatles-Begeisterte. Ich bin ja auch begeistert von den Beatles. Sie?«
    »Ich auch.«
    »Großartig, was die machen, nicht?« sagte der Vierundsiebzigjährige.
    »Das ist ›Yellow Submarine‹!« Er lauschte eine Weile, dann nickte er und sagte noch einmal: »Großartig, wirklich. Jetzt wollen wir zuerst in Ruhe jausen, dann erzähle ich Ihnen, was Sie wissen wollen – den Anfang davon jedenfalls. Sie haben doch Zeit?«
    »Gewiß«, sagte Manuel. Alle Zeit von der Welt, dachte er traurig. Am Vormittag war er in die Möven-Apotheke gefahren, um Irene zu sehen und ihr die letzten Ereignisse zu berichten. Sie war sehr nervös und in Eile gewesen. Andauernd hatte sie aus ihrem kleinen Büro in den Verkaufsraum eilen und Kunden bedienen müssen, es herrschte Hochbetrieb an diesem Samstagvormittag. Irenes Augen waren wieder klar und groß, sie schminkte sich nicht mehr so sehr, aber sie machte einen außerordentlich irritierten Eindruck. Nach jeder Unterbrechung entschuldigte sie sich bei Manuel, doch er hatte das Gefühl, daß sie gar nicht richtig zuhörte und aufnahm, was er berichtete. Zuletzt war er von ihrer gereizten Stimmung angesteckt

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