Und Jimmy ging zum Regenbogen
schön, dachte er, gar nicht schön. Aber was soll ich tun? Wegschicken die Frau? Mit dem Brief dieses Schweines von einem Direktor schon auf dem Tisch des Herrn Schirach? Was wird dann aus dem Jungen? Man muß es versuchen, versuchen muß man es immer und immer wieder im Kampf gegen diese verfluchte braune Pest.
Valerie blickte auf.
»1923, als wir heirateten, da herrschte solche Wohnungsnot in Wien! Da lebten wir über ein Jahr in Untermiete bei einer gewissen Frau Hermine Lippowski. In Dorbach draußen. Sie hatte uns eine Etage ihrer Villa abgetreten.«
»Würde Frau Lippowski Ihre Angaben als Zeugin bestätigen?«
»Das weiß ich nicht …«
Forster wurde plötzlich wütend.
»Wie haben Sie sich denn das vorgestellt, gnädige Frau? Sie kommen zu mir und sagen: mein Kind hat einen anderen Vater, los, jetzt weißt du es, sieh zu, daß es zum Arier erklärt wird! Was dachten Sie sich denn? Daß die Na … daß die Gerichte solche Prozesse gern sehen?«
Valerie sagte bebend: »Ich werde heute noch Frau Lippowski aufsuchen und mit ihr sprechen.«
»Das werden Sie, ja! Wir müssen so sicher wie möglich gehen. Wir müssen die größten Chancen haben zu gewinnen, bevor wir den Prozeß anfangen. Verzeihen Sie, daß ich laut wurde. Ich denke an Sie … und die Menschen, die Sie hineinziehen in diese Sache.«
»Ich begreife schon«, sagte Valerie leise.
»Nein. Sie begreifen leider immer noch nicht! Es ist das reine russische Roulette, so ein Prozeß – auch mit den besten Zeugenaussagen, auch wenn alles stimmt, auch wenn man einen verständnisvollen Richter bekommt!«
»Was geschieht denn noch?« stammelte Valerie.
»Es wird eine ausführliche, anthropologische Untersuchung geben«, sagte Forster. »Also Untersuchungen der körperlichen und seelischen Eigenschaften des Jungen, der Ihren und der des Vaters – im Sinne der Rassengesetze. Ferner eine Untersuchung des Herrn Steinfeld …«
»Aber der ist doch in England!«
»… auf Grund von Fotografien, soweit das möglich ist. Das Gericht wird Professoren als Gutachter einsetzen. Und dann kommt die Blutgruppenbestimmung. Von ihrem Ausgang hängt alles ab.«
»Ich verstehe nicht …« Valerie atmete schneller.
Etwas knirschte.
Nun hat sie ihr Tuch also zerrissen, dachte Forster und sagte: »Ruhig, gnädige Frau, ganz ruhig. Sehen Sie: Die Blutgruppe des Kindes hat bestimmte Blutgruppen der Eltern
zur Voraussetzung,
Das können verschiedene Gruppen sein.« Valerie hob den Kopf. »Aber nach den Mendelschen Regeln schließt die Kombination
gewisser
Blutgruppen bei den Eltern eine
bestimmte
Blutgruppe des Kindes
absolut aus.«
Valeries Kopf sank wieder. »Mit anderen Worten: Hat das Kind eine solche Gruppe, und haben Kindesmutter und angeblicher Kindesvater die gewissen anderen Gruppen, dann kann mit
Sicherheit
behauptet werden, daß der
vorgebliche
Kindesvater unter
keinen Umständen
der wirkliche Kindesvater ist.« Danach entstand eine Stille, die so groß war, daß durch die geschlossenen Fenster der grollende Lärm der schweren Wehrmachtslaster hereindrang, die immer noch über die Donaukanalbrücke rollten.
»Sie brauchen doch keine Angst zu haben, gnädige Frau. Sie sind doch ganz sicher, daß Ihr Mann nicht der Vater ihres Sohnes ist, sondern der Mann, dessen Namen Sie mir noch nennen müssen … oder?«
Valerie sagte eilig: »Ganz sicher!«
»Nun also!« Forster dachte: Arme Person. Verfluchtes Nazigesindel.«
Dann wird das auch die Blutgruppenbestimmung ergeben.«
»Ich meine …« Valerie war ins Stammeln gekommen, ihr Gesicht hatte sich wieder blutrot gefärbt, ihre Augen flackerten. »Ich meine … so sicher ich eben sein kann …«
»Wieso? War da – entschuldigen Sie die Frage, gnädige Frau – war da noch
ein dritter Mann?«
Immer dasselbe Elend, dachte der Anwalt, immer dasselbe.
»Ja … nein … ja …« Valerie war jetzt den Tränen nahe. »Einmal war da noch ein Mann … Aber er kann es nicht gewesen sein … bestimmt nicht … Ich meine … Ich kann es mir nicht vorstellen … Doch, ich bin sicher, es war …«
Der Martin darf von dieser ganzen Blutgruppengeschichte überhaupt nichts hören, dachte Valerie entsetzt. Der kippt mir ja um. Ein Mann wie er! Und in der Partei!
»Wenn Sie nicht absolut sicher sind«, sagte Dr. Forster, »kann natürlich der Fall eintreten, daß
trotzdem
alles gutgeht, selbst falls der von Ihnen Angegebene – verzeihen Sie – doch nicht der Kindesvater sein sollte.
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