Und Jimmy ging zum Regenbogen
der Hofrat Wolfgang Groll, hatte angerufen und gesagt, daß Manuel Aranda kommen werde: Der junge Mann befinde sich in einem gefährlichen Gemütszustand. Er habe eben zur Kenntnis nehmen müssen, daß sein Vater ein skrupelloser, verbrecherischer Mensch gewesen war.
Gegen neun Uhr war Manuel auch wirklich erschienen – in Begleitung einer jungen Frau, die gleichfalls ernst und bedrückt wirkte.
»Er hat sich von hier aus noch mit der Nichte dieser Valerie Steinfeld verabredet«, hatte Groll seinem Freund am Telefon gesagt. »Sie werden irgendwo essen, und dann will der Junge bei dir etwas trinken. Er sagte, dein Wein habe ihm damals so gut getan. Und die junge Frau erklärte, sie wolle den Abend nicht zu Hause verbringen. Sei nett zu den beiden. Paß ein bißchen auf sie auf – vor allem, daß der Junge nicht zuviel trinkt. Der braucht jetzt einen klaren Kopf. Ich würde mich wahrscheinlich vollaufen lassen, wenn ich an seiner Stelle wäre …«
Manuel Aranda und Irene Waldegg saßen allein in einem der vier kleinen Räume, die alle weiß gekalkt und durch Bogengänge miteinander verbunden waren. Ein leerer Weinheber und Gläser standen vor ihnen. Irenes Augen waren an diesem Abend sehr groß und seltsam feucht. Ihr braunes Haar glänzte im Licht. Sie trug ein graues Kostüm, einen violetten, hochgeschlossenen Pullover, und sie war etwas geschminkt. Die blassen Wangen schienen rosig, die blutleeren Lippen zinnoberrot zu sein. Die beiden Menschen saßen nebeneinander auf einer Holzbank und lauschten dem Spiel Seelenmachers.
Von Zeit zu Zeit, nach Perioden des Schweigens, begann Manuel immer wieder hektisch zu reden. Das ging seit Stunden, seit er Irene abgeholt hatte. Beim Abendessen in einem Lokal in Währing war das so gewesen, im Auto unterwegs, hier, beim Wein. Jetzt hatte Manuel sich gefangen – äußerlich. Er konnte ruhig und zusammenhängend sprechen, ohne Hysterie, ohne laut zu werden.
Ein junges, hübsches Mädchen in einem Dirndl kam, nahm den leeren Weinheber vom Tisch und stellte einen neuen hin.
»Herr Seelenmacher läßt schön grüßen«, sagte sie dazu lächelnd. »Er hat gesehen, daß Sie nichts mehr zu trinken haben.«
»Danke!« Manuel blickte durch den Bogengang in den Nebenraum. Seelenmacher nickte und lächelte. Auch Manuel nickte. Er füllte die Gläser neu und trank Seelenmacher zu. Der Weinhauer hob, ohne das Spiel zu unterbrechen, sein Glas.
Manuel sah Irene an, lange und so, als hätte er sie noch nie gesehen. Sie erwiderte seinen Blick ernst. Ihre Stimme klang unsicher, als sie sagte: »Sie fliegen also zurück. Wann …?«
»Morgen abend. 23 Uhr 40. Es gäbe die Möglichkeit, schon am Vormittag zu fliegen. Aber ich muß noch auf Cayetano warten.«
»Wer ist das?«
»Der Generaldirektor der QUIMICA ARANDA . Vertrauter und Stellvertreter meines Vaters. Ein Freund. Auch meiner. Habe ich stets geglaubt. Hoffe ich noch immer. Er hat die Leitung der Geschäfte übernommen und sich um alles gekümmert … auch um das Begräbnis meines Vaters … Ich war ja nicht da …« Manuel trank hastig. »Wir haben häufig miteinander telefoniert in den letzten Nächten. Da ist es drüben Tag … Er sagte, er werde schnellstens nach Wien kommen. Er bringt zwei unserer Anwälte mit.«
»Warum?« fragte Irene.
»Nun, ich wollte doch in Wien bleiben! Ich wollte herausfinden, warum Ihre Tante meinen Vater …« Manuel brach ab. Ein Schweigen folgte. Er sprach mühsam weiter: »Es war dringend nötig, daß ich mit Cayetano redete. Das Werk muß schließlich weiterarbeiten. Die Besitzverhältnisse müssen geklärt werden. Ich bin der Erbe. Mit den beiden Anwälten hätten wir auf der argentinischen Botschaft alles erledigen können, die Umschreibung der Fabrik auf mich, alle Formalitäten … Cayetano hätte drüben als mein Vertreter weitergearbeitet. Und ich hätte bleiben können.«
»Aber jetzt wissen Sie, was Ihr Vater getan hat, und müssen zurück.«
»Ja. Cayetano und die Anwälte landen morgen mittag in Wien. Sie werden mit mir heimfliegen. Ich will sie nicht unterwegs alarmieren. Vor allem, weil ich annehmen muß, daß Cayetano von der Geschichte wußte …« Manuel preßte beide Hände gegen den Kopf. Irene sah ihn mitleidig an. Er schien das zu fühlen, denn er ließ die Hände sinken und sagte mit Mühe: »Der Wein ist gut, nicht wahr?« Dann fragte er leise: »Darf ich … darf ich Sie nun, vor dem Abschied, Irene nennen?«
»Ja, Manuel«, sagte sie. Und hastig.
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