Und Jimmy ging zum Regenbogen
Flüchtling Verwandte in Wien besitzt. Dann hat er sich nur täglich bei der ›Jewish Agency‹ zu melden. Aber das muß man von Wien aus beantragen, von Warschau aus geht es nicht.«
»Sie meinen, Daniel Steinfeld wollte bei meiner Tante wohnen. Und die sollte vor seiner Ankunft die Erlaubnis dafür hier einholen.«
»Ja. Aber Ihre Tante ist nun tot … Das weiß er nicht. Da gibt es eine alte Köchin, hat Daniel mir gesagt, die könnte für ihn das Diätessen machen.«
»Die alte Köchin ist seit vier Jahren in einem Altersheim.« Jetzt blickte auch Jakob Roszek, wie seine Frau, auf das Tischtuch. Schnell fuhr Irene fort: »Aber ich habe eine andere Frau, die für ihn kochen kann! Und natürlich kann er bei mir wohnen! Ich werde sofort um die Erlaubnis bitten und ihm schreiben …«
Roszek hob den Kopf wieder.
»Danke. Ich danke Ihnen an Daniels Stelle, Fräulein!«
»Wann will er kommen?«
»Er wartet nur auf Ihre Nachricht. Er ist reisefertig. Sobald er liest, daß er privat untergebracht werden kann, fährt er los, am selben Tag. Er steht auf der Liste.«
»Ich rede noch heute mit den Leuten von der ›Jewish Agency‹«, sagte Irene, »und telegrafiere sofort. Wie alt ist Daniel Steinfeld?«
»Neunundsechzig.«
»Und da will er noch …« Manuel brach beschämt ab.
»Er
muß!
Und er will auch, er hat genug, er kann da nicht mehr atmen!« sagte Roszek. In seinem breiten, teigigen Gesicht zuckte es. »Keiner von uns kann das mehr. Ich bin einundsechzig – auch kein Springinsfeld, nicht? Aber was soll man tun?« Roszek sprach, wie es schien, leichthin, doch nun merkte man, wie sehr er sich um Haltung bemühte. »Seit 1947 habe ich meine Zeitung gemacht … Gutes Blatt, wirklich. Viel Freude habe ich daran gehabt …« Er strich verloren über den dicken Band mit Shakespeares gesammelten Werken. »Will sehen, ob ich sie in Tel Aviv nicht weiterführen kann.« Er blickte Irene und Manuel lächelnd an, lächelnd mit dem Wissen um vieltausend Jahre Vertreibung, Verfolgung, Schmerz, Qual und Flucht.
»Und Daniel Steinfeld?« fragte Irene. »Was macht der?«
»Der war Chemiker, Biochemiker«, sagte Roszek. »Universitätsprofessor. Ein eigenes Institut haben sie ihm gebaut – auf dem Land vor der Stadt. Da hat er gearbeitet, monatelang manchmal. Dann war er wieder in Warschau. Ein berühmter Wissenschaftler bei uns, ein gefeierter Mann – bis zum September 1967. Da haben sie ihn hinausgeworfen. Er hat die Universität nicht mehr betreten dürfen, und nicht mehr sein Institut. Staatsfeindliche Tätigkeit haben sie ihm vorgeworfen. Als Zionist im Dienst Israels. Und als Agent der Amerikaner! Sie haben ihm den Prozeß gemacht. Es ist ihm nichts passiert. Freispruch zuletzt. Nur noch kränker ist er natürlich geworden durch all die Aufregungen. Die Anklage, er sei ein amerikanischer Agent, die wurde gegen ihn übrigens erhoben, weil er einen Freund hatte, der weit in der Welt herumkam, auch in Amerika.«
»Was war das für ein Freund?«
»Kein Pole. Ein Wiener, wie wir alle. Der Mann hat ihn oft besucht in den vergangenen Jahren, sie haben an irgend etwas zusammengearbeitet, ich weiß nicht, an was. 1966 ist sein Freund, dieser Thomas Meerswald, ums Leben gekommen. 1966! Und 1968 bezeichnete die Staatsanwaltschaft ihn als Spion. Er sei der Kontaktmann Daniels zu den Amerikanern gewesen – was machen Sie denn für Gesichter? Großer Gott im Himmel, was ist los? Ich habe doch nur gesagt, daß Daniel mit diesem Thomas Meerswald zusammengearbeitet hat und deshalb so große Schwierigkeiten bekam!«
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Etwa 900 Kilometer südwestlich von Buenos Aires liegt, in der Provinz La Pampa und am Nordwestrand einer großen Salzseepfanne, der Ort La Copelina. Knapp 15 000 Menschen wohnen hier. Die nächste Bahnlinie in der wüstenhaft trockenen Gegend läuft 300 Kilometer entfernt. Nur zwei schlechte Straßen führen von La Copelina nach Puelches und La Cautiva, armen, trostlosen Städten am träge dahinfließenden Rio Salado. Der Salzsee hat eine Länge von 80 Kilometern.
1952 wurde es an seinem Südostende lebendig. Innerhalb eines Jahres entstanden Fabrikgebäude, Hallen, große flache Gebäude und eine Betonpiste, auf der auch Transportmaschinen landen konnten. Die Firma QUIMICA ARANDA errichtete hier ein Zweigwerk, nachdem, wie man in La Copelina hörte, Wissenschaftler das Salz des Sees untersucht und herausgefunden hatten, daß sich in seinem südöstlichen Teil riesige Mengen gewisser Substanzen
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