Und Jimmy ging zum Regenbogen
Hinterbliebenen. Waren alle beim Begräbnis. Jetzt gedenken sie hier noch einmal des Verblichenen.«
»Das sind nur Frauen«, sagte Manuel erstaunt.
»Das sind nur Männer«, sagte Nora.
»Wie?«
»Nur Männer. Alles anständige Transvestiten. Zigaretten-Wolfis intimste Freunde. Ich sage doch, er war
unendlich
fleißig. Mit einundzwanzig mußte er sterben. Schrecklich. Schweres Unterleibsleiden …«
»Das sind
Männer?
«
»Aber gewiß. Der am Harmonium, der Dicke, ist ›Fette Ente‹. So wird er genannt.«
»Warum?«
»Er läuft sonst immer mit grünen Filzhüten herum. Und Enteriche haben doch grüne Köpfe. Ein ausgezeichneter Gynäkologe …«
Fette Ente begann ein neues Musikstück – ›Ave Maria‹.
Das Schluchzen wurde lauter. Ein als Frau verkleideter Mann gebärdete sich wie von Sinnen. Er weinte so laut, daß er manchmal das Spiel der Fetten Ente übertönte, wand sich wie in Krämpfen und drohte zusammenzusinken. Andere Trauergäste bemühten sich zärtlich um ihn, stützten seine Schultern, streichelten sein tränenverheertes Gesicht.
»Chinchilla«, sagte Nora. »Hat Zigaretten-Wolfi am meisten geliebt. Leidet entsetzlich unter dem Verlust.«
»Chinchilla?«
»Ein sehr bekannter Pelzhändler.«
Chinchilla war nicht zu beruhigen.
»Der arme Kerl«, sagte Nora. Chinchillas Gesicht war verwüstet, Maskara und Schminke vermischten sich mit Puder.
»Oh!« rief Chinchilla, »oh, Wolfi, Wolfi, mein Wolfi …«
Die Damen, die alle Herren waren, zeigten Erschütterung.
Mit tiefer Inbrunst spielte Fette Ente weiter ›Ave Maria‹ …
»Das also war damals Carl Flemmings Arbeitszimmer in seinem Appartement«, sagte Nora, den Apparat abschaltend.
33
In Carl Flemmings Appartement gab es viele Kostbarkeiten – antike Möbel, Gobelins, Ikonen, alte Teppiche und eine große Vitrine mit einer Sammlung von chinesischem Porzellan aus der Ming-Epoche.
Der Schreibtisch besaß einen Flügel, dessen Tür durch ein Spezialschloß gesichert war. Flemming öffnete es mit einem Yale-Schlüssel und entnahm ihm eine Reihe von Dokumenten. Er schaltete die starke Lampe auf dem Schreibtisch ein und holte aus der Jackentasche eine Kleinstkamera. Neun Dokumente schob Flemming unter den hellen Lichtkegel und fotografierte sie. Er tat alles mit größter Ruhe und Gelassenheit.
Nachdem er die Dokumente fotografiert hatte, legte er sie wieder in ihre Fächer und bückte sich. Ganz unten in dem Seitenflügel lag eine kleine Schachtel. Flemming öffnete sie. Auf Watte gebettet ruhten in der Schachtel viele Glaskapseln. Flemming gab einzelne oft seinen Auslandsagenten mit. Nun wählte er eine, schloß die Schachtel und versperrte das Yale-Schloß. Die Kapsel und die Kamera steckte er ein, dann griff er zum Telefonhörer des Hausapparates und wählte eine zweistellige Nummer. Nach einer Weile meldete sich die verschlafene Stimme Carlsons.
»Tut mir leid, mein Lieber, daß ich Sie so spät noch stören muß.« Flemming sprach freundlich. »Aber es geht nicht anders. Ziehen Sie sich an. Dringender Anruf. Einer unserer Leute fliegt nach Athen. Ich muß ihm noch Akten bringen.«
»In Ordnung, Chef.« Carlsons Stimme klang unruhig.
Flemmings Gesicht war ausdruckslos, als er sagte: »Kommen sie zu mir rauf. Eine ganze Menge Akten. Auch ein paar Ordner. Sie müssen mir tragen helfen.«
»Jawohl, Chef. Ich komme, so schnell ich kann.«
»Gut«, sagte Flemming. Er legte auf, ging zu einer großen Wandbar und entnahm ihr zwei Gläser und eine Flasche Cognac. Er holte die Kapsel hervor, zerbrach sie sehr vorsichtig und ließ ihren Inhalt – feinkörniges Pulver – in ein Schwenkglas rieseln. Mit einer Schere zerkleinerte er dann ebenso vorsichtig die beiden Kapselteile weiter, bis es nur noch feine Splitter waren. Auch diese ließ er in das Glas fallen.
Er ging in sein Badezimmer, wo er sich gründlich die Hände wusch und danach auch noch die Schere, die er, in das Arbeitszimmer zurückgekehrt, wieder auf den Schreibtisch legte. Aus einem Regal nahm er einige Leitz-Ordner und stapelte sie auf einen Stuhl. Er war noch damit beschäftigt, als es klopfte.
»Herein!« rief Flemming.
Carlson, in Chauffeur-Livree, trat zögernd ein. Seine stechenden Augen verrieten große, mühsam unterdrückte Angst.
»Kommen Sie schon rein!« rief Flemming, scheinbar mit den Ordnern auf dem Stuhl beschäftigt.
Wie ein Tier, das jederzeit zur Flucht bereit ist, so trat der Chauffeur näher. Er dachte an das, was sich vor wenigen
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