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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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hab schwören dürfen! Schwören dürfen hab ich!‹« Tilly Landau sagte: »Das hat sie sich doch so gewünscht, nicht wahr?«
    Manuel nickte.
    »Und also«, fuhr Tilly fort, »schleppte der Prozeß sich weiter. Bis Ende Oktober schon hätte Valerie den großen Ariernachweis für Orwin erbringen und alle Fotos von ihm, die sie sammeln konnte, dem Gericht vorlegen sollen. Fotos gab es eine Menge – Orwin war ein ziemlich berühmter Mann gewesen –, nur ein paar Dokumente ließen und ließen sich nicht auftreiben. Erst im Januar 44 hatte sie endlich alles beisammen. Dann ging das ganze Material an das Anthropologische Institut. Und erst im Mai gab es wieder eine Verhandlung.«
    »Mit dem katastrophalen Gutachten«, sagte Manuel.
    »Woher wissen – ach so, Doktor Forster! Mein Gott, der arme Kerl. Schrecklich ist das. Aber so einen Tod wünsche ich mir auch«, sagte Tilly. »Er kann doch überhaupt nicht gelitten haben, oder?«
    »Nein«, sagte Manuel und dachte: Im Sterben nicht, im Leben schon, viel und lange.
    »Ja«, fuhr Tilly fort, »das Gutachten war verheerend. Vermutlich haben die SS -Ärzte sich gesagt: Unser so
positives
erstes Gutachten war ausschlaggebend dafür, daß dieser Prozeß überhaupt weitergeführt wird. Das wollen wir jetzt verhindern.«
    »Und es gelang ihnen?«
    »Es gab zwei weitere Verhandlungen. Ich war bei beiden, als Zuhörerin. Die arme Valerie! Es sah sehr schlecht für sie aus, was der Doktor Forster auch anfing. Ich habe sogar das Gefühl, daß der Richter ihr gern geholfen hätte, aber er traute sich nicht. Er hatte Angst vor diesem SS -Bonzen, dem Leiter des Instituts, er hieß, warten Sie …«
    »Kratochwil«, sagte Manuel.
    »Ja, Kratochwil, richtig! Den ließ der Richter auf Verlangen Forsters zur zweiten Verhandlung persönlich erscheinen. Forster verwickelte Kratochwil in wilde Streitgespräche – bis der SS -Kerl richtig heimtückisch wurde und die ganze Geschichte lebensgefährlich für den guten Doktor Forster. Der Richter schloß die Verhandlung. Das Urteil sollte schriftlich ergehen«, sagte Tilly.
    »Der Richter ließ sich Zeit damit – vielleicht auch, um zu helfen. Die Zeit, nicht wahr, die Zeit …«
    »Ja«, sagte Manuel.
    »So kam das Urteil erst Anfang Juni. Es war ein paar Schreibmaschinenseiten lang. Die Klage wurde darin abgewiesen. Valerie brach uns fast zusammen, aber der Doktor Forster sagte: ›Jetzt gehen wir in die Revision vor das Reichsgericht in Leipzig!‹«
    »In Leipzig …« Manuel fiel ein, daß Forster bei ihrem ersten Telefonat gesagt hatte, die Akten des Gerichts befänden sich, wenn sie überhaupt noch existierten, in Leipzig.
    »Das war das höchste deutsche Gericht. Und die Revisionsanträge aller Abstammungsprozesse mußten dort eingereicht werden – nach einer Verordnung von Anfang 44. Zuerst war ein solcher Revisionsantrag vom örtlichen Gericht zu genehmigen. In Valeries Fall geschah das Ende Juni. Ich sagte, der Richter wollte uns helfen! Danach mußte Forster innerhalb von vierzehn Tagen Revision einlegen. Er hat sicherlich seine Unterlagen darüber für heute vorbereitet gehabt …« Tilly sah in die Schneewirbel hinaus. »Da liegen sie nun in seinem Zimmer … Und er ist tot … Ich erinnere mich auch noch an das Revisionsbegehren. Valerie war dabei, als Forster es aufsetzte, und sie erzählte Martin und mir davon. Es war unglaublich, was Forster da noch einmal riskierte …«

56
    Am 7. Juni 1944, zwei Monate bevor er verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht werden sollte, saß Dr. Otto Forster hinter dem Schreibtisch im Arbeitszimmer seiner Kanzlei am unteren Ende der Rotenturmstraße. Ihm gegenüber saß, erschöpft und verstört, Valerie Steinfeld. Forster sprach in ein Diktaphon, wobei er in Akten blätterte: »… erhebe ich, Heinz Steinfeld, in offener Frist Revision an das Reichsgericht. Das erstrichterliche Urteil wird mit Ausnahme des Kostenanspruchs, der unberührt bleibt, seinem ganzen Umfang nach angefochten …« Der Anwalt sah auf, zupfte sein rechtes Ohr, schaltete das Gerät ab und sagte: »Nun machen Sie nicht so ein Gesicht, gnädige Frau!«
    »Ach, Herr Doktor, wenn Sie wüßten, wie ich mich fühle. Das wird doch auch wieder umsonst sein!«
    »Abwarten! Noch ist Polen nicht verloren. Im Gegenteil!« Forster blätterte in einem dicken Buch, murmelte vor sich hin, schaltete das Diktaphon wieder ein und sprach weiter: »Als Revisionsgründe mache ich geltend … Erstens: Mangelhaftigkeit

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