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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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günstigere rassische Entscheidung zu Unrecht erfolgt, oder ob es ein größeres Übel ist, einem tatsächlich reinblütigen Abstammungsbewerber wegen der Beweisschwierigkeiten, auf die er trifft, die Zuerkennung seiner Deutschblütigkeit zu versagen, muß der Erwägung des Reichsgerichtes mit allem Nachdruck anheimgestellt werden …«

57
    Erschöpft, mit bleiernen Gliedern wie jeden Abend, stieg Heinz Steinfeld gegen 19 Uhr am 11. September 1944 an der Haltestelle Währingerstraße-Martinstraße aus dem 41er und ging das kurze Stück bis zur Gentzgasse hinüber. Seit einer Stunde war für Wien Voralarm gegeben, die Sirenen hatten geheult, aber die Bomber flogen nicht weiter auf die Stadt zu. Sie kreisten über verschiedenen Punkten.
    Der Herbst kam früh in diesem Jahr, es dämmerte schon stark, und ein kühler Wind wehte. Heinz trug ausgebeulte Hosen, eine fleckige Jacke und seine alte Aktentasche, in der er einen Thermos und seine Frühstücksbrote beförderte. Er ging mit den schlurfenden Schritten und vorgeneigten Schultern eines Arbeiters. Als er die Wohnungstür aufsperrte, hörte er aus dem großen Mittelzimmer Stimmen. Er ging weiter, trat ein und sah seine Mutter, die Geschwister Landau und die Agnes. Bei seinem Anblick verstummten sie alle. Und alle sahen ihn an.
    Im Radio, einem sogenannten ›Volksempfänger‹, tickte die Uhr des Luftschutzsenders.
    »Guten Abend«, sagte Heinz.
    Sofort darauf war er von Menschen umringt, die ihn umarmten und an sich drückten. Seine Mutter und die Agnes küßten ihn.
    »Mein Bub«, sagte Valerie, »mein Bub …«
    »Was ist denn hier los?« Heinz war plötzlich ganz munter. »Ist was aus Leipzig gekommen?«
    Seine Mutter hielt ihm ein Blatt Papier hin.
    »Ja, Heinz, ja! Der Doktor Burkhardt hat geschrieben.« Dr. Burkhardt war ein Anwalt in Leipzig, den Forster bei Einreichung des Revisionsbegehrens gebeten hatte, ihn zu vertreten. Valeries Stimme klang unsicher, sie machte dauernd kleine Pausen beim Sprechen. Ihre Augen leuchteten. »Und hier!« Sie hielt dem Sohn ein zweites Papier hin. »Vom Reichsgericht.«
    »Die Entscheidung?« fragte Heinz.
    »Ja!« rief Martin Landau. »Die Entscheidung ist da!«
    »Und?«
    Tilly Landau sagte: »Du siehst doch – einen Kuchen hat die Agnes gebacken, wir haben zwei Flaschen Wein mitgebracht! Heute müssen wir feiern!«
    »Also hat das Reichsgericht …« Heinz stockte.
    »Ja«, sagte Valerie mit bebender Stimme. »Das Reichsgericht hat das Wiener Urteil verworfen. Die fünf Richter des Leipziger Senats haben ein neues Urteil gefällt. Danach bist du Arier. Wir haben den Prozeß gewonnen!«
    »Heinzi!« rief die Agnes. »Heinzi! Ist das nicht herrlich?«
    Der magere Junge mit den Sommersprossen auf der blassen Haut des schmalen, erschöpften Gesichts antwortete nicht. Sein Blick ging plötzlich durch die Menschen vor ihm hindurch, weit, weit fort in die Ferne. Die Uhr des Luftschutzsenders tickte monoton. Ohne jemanden anzusehen, sagte Heinz mit ruhiger Stimme: »Endlich.«
    Landau hatte eine Weinflasche entkorkt und Gläser gefüllt. Er reichte sie ringsum.
    »Jetzt wollen wir auf den glücklichen Ausgang trinken!« sagte Martin Landau. Valerie betrachtete ihren Sohn ernst. Der war gar nicht richtig anwesend, fand sie. Alle stießen die Gläser gegeneinander und tranken einander zu.
    Die Uhren des Luftschutzbefehlsstandes verstummte. Eine Männerstimme meldete sich: »Achtung, Achtung. Die feindlichen Bomberverbände sind aus den Bereichen 23, 24 und 45 ausgeflogen und haben den Großraum Wien verlassen. Sie fliegen mit Nordkurs weiter nach Prag. Für Wien wird Entwarnung gegeben.«
    In die letzten Worte hinein heulten schon die Sirenen – einen langgezogenen Dauerton.
    Heinz sagte, und jetzt lächelte er: »Lange genug hat es gedauert. Nun wird es sehr schnell gehen.«
    »Was, Heinzi?« fragte die Agnes.
    »Meine Einberufung«, sagte der Junge. »Gemustert bin ich schon lange. Damals haben sie mich zurückgestellt. Nicht zur Verwendung! Damit ist es vorbei!« Er lachte glücklich. Er sah niemanden an, und deshalb bemerkte er nicht, wie die Erwachsenen ihn anstarrten, erschrocken, entsetzt, von neuer Angst gepackt. Er sagte: »Ich warte aber nicht, bis sie mich holen. Morgen schon melde ich mich freiwillig – zur Waffen- SS !« Ein Glas fiel auf den Boden und zerbrach. Valerie hatte es fallen lassen. Sie sank in einen Sessel, während aus dem Radio eine andere Männerstimme ertönte: »Hier ist der Reichssender Wien.

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