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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Valerie. »Warten Sie, ich führe Sie nach vorne. Die Tür ist verschlossen. Wir haben noch Mittagspause …«
    Damit ging sie sehr aufrecht vor dem Major her durch den schmalen Gang in den Verkaufsraum und sperrte die Glastür auf. Der Russe drückte ihre Hand, verneigte sich und verließ die Buchhandlung. Valerie drehte den Schlüssel der Tür wieder.
    »Um Gottes willen! Das ist ja furchtbar! Ganz furchtbar! Du mußt dich hinlegen … Du siehst ja aus wie der Tod … Komm schnell …« Martin Landau war ihr nachgeeilt.
    Sie standen jetzt voreinander, neben dem alten Baribal-Bären beim Eingang.
    »Ich muß mich nicht hinlegen. Mir geht es ganz gut«, sagte Valerie mit einer Stimme, die seltsam kindlich klang. »Also Paul ist tot. Und das war eine Platte, die ich da gehört …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Lautlos glitt sie auf den alten Dielenboden und bewegte sich nicht mehr. Sie hatte das Bewußtsein verloren.

60
    »Kollaps«, sagte Ottilie Landau. »Sie hatte einen Kollaps erlitten. Martin rannte, um einen Arzt zu holen. Der kam zum Glück sofort und gab ihr eine Spritze. Danach fand Valerie das Bewußtsein wieder. Der Arzt bestand darauf, daß sie auf dem Sofa im Teekammerl liegen blieb. Bis zum Abend hatte er einen Krankenwagen organisiert – damals ein fast unlösbares Problem! In ihm fuhr Valerie heim. Sie mußte eine Woche im Bett bleiben, der Arzt besuchte sie täglich, Martin auch, ich auch. Die Agnes sorgte für sie. Valerie sprach fast nicht in dieser Woche, mit niemandem. Dann, acht Tage später, stand sie wieder im Geschäft.«
    »So sehr hatte sie sich in der Gewalt?«
    »So sehr, ja. Sie können sich die Kraft nicht vorstellen, die diese Frau besaß«, sagte Tilly Landau. Im Lokal flammten die kleinen, rotbeschirmten Lämpchen auf allen Tischen und die indirekte Deckenbeleuchtung auf. Es war sehr dämmrig geworden. »Eines tat Valerie nie mehr.«
    »Was?«
    »Sie hörte nie mehr London. Sie schenkte Martin den Apparat. Nun, Sie kennen ja Martin auch ein wenig, nicht wahr? Er wollte das Radio nicht fortgeben. Deshalb steht es immer noch im Teekammerl …« Tilly Landau hob die Schultern. »Wir haben uns sehr um Valerie gekümmert damals. Aber sie blieb verschlossen – für alle Zeit. Kaum daß sie in den vielen Jahren danach noch einmal mit uns über ihren Mann sprach. Im Sommer 1946 brachten englische Offiziere den Totenschein. Die BBC hatte Paul Steinfeld ein Grab gekauft und ihn bestatten lassen. Sie hatte auch die Instandhaltung des Grabes übernommen. Es wird auf ihre Kosten gepflegt – bis heute.«
    »Frau Steinfeld ist niemals nach London gereist, um es zu besuchen?«
    »Nein, niemals. Herr Aranda. Sie war … eine ganz außergewöhnliche Frau … Und mit den Jahren, mit den vielen Jahren, in denen sie, wie wir alle, älter wurde, kam eine immer größere Verschlossenheit hinzu. Sogar gegen uns, ihre alten Freunde, sogar gegen die Agnes. Nur Irene Waldegg war sie herzlich zugetan.«
    Tilly Landau zuckte die Achseln. »Es wußte schon lange niemand mehr, was wirklich in ihr vorging … was sie dachte … Sie muß ein richtiges zweites Leben geführt haben!«
    »Ein zweites Leben?«
    »Wie erklären Sie sich sonst das, was sie zuletzt getan hat? Wir können es uns nicht erklären! Darum haben wir ja solche Angst! Und darum wollte ich unter allen Umständen verhindern, daß wir in diese Sache verwickelt werden.«
    »Ich verstehe«, sagte Manuel Aranda.

61
    Der Lichtkreis einer starken Taschenlampe wanderte langsam über die uralte dunkle Mauer und die unzähligen Jahreszahlen, Initialen und Symbole, die in den harten Stein geritzt waren.
    »Hör doch auf«, sagte Irene Waldegg. »Du findest es nie!«
    »Ich finde es«, sagte Manuel Aranda, der die Taschenlampe hielt. »Warte nur noch eine kleine Weile.«
    Irene und Manuel standen in dem Arkadengang der Minoritenkirche. Kein Mensch außer ihnen war zu erblicken um diese Zeit – halb elf Uhr abends. Es schneite noch immer, doch die Flocken fanden nur selten ihren Weg in die enge Passage. Der Lichtkegel der Taschenlampe glitt weiter über die Wand …
    Irene hatte mit Manuel im ›Ritz‹ zu Abend gegessen, danach waren sie noch in die Bar gegangen. Bei ihrem Eintritt hatten die alten Herren des kleinen Orchesters sich verneigt, und der Pianist hatte, langsam und sentimental, ›ihr‹ Lied zu spielen begonnen.
    Während des Essens hatte Manuel Irene alles erzählt, was er gehört hatte. Es war sehr viel gewesen an

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