Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
Minuten nach 21 Uhr standen zwei Männer vor der Eingangstür zur Kanzlei der Rechtsanwälte Dr. Rudolf Stein und Dr. Heinrich Weber. Sie trugen Filzpantoffel. Ihre Schuhe steckten in den Manteltaschen. Es waren Jean Mercier und der große, schlanke Anton Sirus, das legendäre Vorbild aller Schränker Europas. Der Mann mit dem mächtigen Kopf, den scharfen Augen des Chirurgen, den schönen, kraftvollen Händen des Operateurs, dieser leidenschaftliche Liebhaber und Sammler französischer Impressionisten, hatte die letzten beiden Stunden neben Mercier auf dem zugigen, eiskalten Dachboden des Hauses gewartet, in dem nur Büros untergebracht waren. Das Schloß der Tür zum Dachboden hatte der ›Professor‹ mit zwei Handbewegungen geöffnet. Der Mann aus Bremen war mit der Mittagsmaschine gelandet und hatte den Nachmittag in einem Hinterzimmer des Reisebüros ›Bon Voyage‹ verbracht. Getrennt waren sie dann hierhergekommen. Bei der bevorstehenden Unternehmung mußte Mercier dabei sein, denn nur er konnte feststellen, was in dem großen Tresor des Dr. Stein für ihn und seine Auftraggeber von Wert war.
    Zitternd vor Kälte hielt er eine Taschenlampe, deren Lichtkreis auf das Yale-Schloß der Kanzleitür gerichtet war. Der ›Professor‹ arbeitete mit zwei Drähten, die Mercier an jene erinnerten, welche man durch Rouladen steckt. Die Drähte hatten allerdings an ihren vorderen Enden spitze Zacken und Verformungen. Sirus schien ein Mann ohne Nerven zu sein. Neben sich, auf dem Boden, hatte er eine große Koffertasche gestellt, wie sie früher von Ärzten benutzt wurde. Nach sechs Minuten schnappte das Yale-Schloß auf. Für das Türschloß brauchte der Professor vier Minuten. Sie traten in die dunkle Kanzlei ein.
    Anton Sirus schloß die Tür und versperrte die Schlösser wieder. Er versicherte sich, daß die Vorhänge in sämtlichen Büros ordentlich geschlossen waren – lautlos huschte er von Zimmer zu Zimmer –, dann erklomm er im Sekretariat einen Stuhl und öffnete ein schwarzes Kästchen, das hinter einem Aktenschrank verborgen war. Der Professor hatte es trotzdem sofort gefunden. Mit wenigen Handgriffen schaltete er eine Alarmanlage aus. Nun ging er neben Mercier in das Büro Dr. Steins, wo er die starke Schreibtischlampe anknipste und so drehte, daß ihr Licht die matt glänzende Riesenwand des Tresors traf.
    Die Männer zogen ihre Mäntel aus, Sirus auch seine Jacke. In dem Büro war es sehr warm. Mercier setzte sich auf einen Sessel vor dem Schreibtisch. Er trug, wie Sirus, Handschuhe aus schwarzem Trauerflor. Der Professor hatte ihm ein Paar mitgebracht.
    »So gibt es keine Fingerabdrücke. Ich verwende nur Trauerflor, niemals Gummi. Man hat bei Gummi nicht das nötige Gefühl in den Fingern.«
    Mercier sah schweigend zu, wie der große Mann nun seine Koffertasche öffnete. Zuoberst lag ein blütenweißer Chirurgenmantel, den der Professor schnell über den Kopf streifte. Zwei Gürtelschnüre band er im Rücken zusammen. Er reichte Mercier einige Gazetücher.
    »Sie werden mir von Zeit zu Zeit die Stirn abtupfen müssen.«
    Mercier nickte nur. Er erinnerte sich, daß der Professor darum gebeten hatte, nicht unnötig angesprochen zu werden. Der Franzose, der das Haus seit Tagen beobachten ließ, wußte, daß es hier keine Männer der Wach- und Schließgesellschaft gab. Die Fenster von Steins Büro gingen zum Kohlmarkt hinaus …
    Nun holte der Professor ein Stethoskop aus der großen Tasche und hängte es sich um den Hals. Danach breitete er auf dem Schreibtisch ein Tuch aus und legte auf dieses mindestens drei Dutzend seltsam geformte, dünne und lange Stahlwerkzeuge. Das Ganze sah aus wie ein chirurgisches Besteck. Der Professor nahm eine kleine weiße Kappe und setzte sie auf.
    »Hält den Schweiß der Kopfhaut zurück«, sagte Sirus. Er trat nun vor, betrachtete den Tresor brütend wie einen Kranken auf dem Operationstisch, wandte sich noch einmal um und nahm einen großen Notizblock und einen Bleistift aus der Tasche.
    Die Aufgabe, vor der Anton Sirus stand, war gewaltig – Mercier hatte eine kurze Erklärung des Professors erhalten, während sie auf dem eisigen Dachboden warteten, er wußte ungefähr Bescheid.
    Die Tresorwand wies etwa in Brusthöhe ein verchromtes Steuerrad auf. Über diesem befand sich, in Schulterhöhe, ein konischer Knopf von knapp zehn Zentimetern Durchmesser, der etwa ebenso hoch und an der Seitenwand mit Rillen überzogen war. Rund um diesen abgeschnittenen Kegel war an

Weitere Kostenlose Bücher