Und keiner wird dich kennen
sie ihn wieder umarmen und alles wird gut sein, alles wird perfekt sein, wenn auch nur einen Moment lang. Er wird verstehen, dass sie wegmuss, dass sie nicht anders kann, dass sonst ihre ganze Familie in großer Gefahr ist. Hauptsache, er denkt nicht, dass sie ihn einfach im Stich gelassen hat, allein der Gedanke ist unerträglich.
Sein Schlafzimmer ist im ersten Stock. Maja klettert über den Gartenzaun, der zum Glück nicht hoch ist und keine fiesen Spitzen hat, und stapft ums Haus herum. Es dauert eine Ewigkeit, bis sie mit ihren Handschuhen den Schnee weggekratzt und ein paar Steinchen in der richtigen Größe aufgeklaubt hat. Als sie die Steinchen an Lorenzos Fenster wirft, kommt sie sich ein bisschen albern vor – solche Sachen machen doch eigentlich nur Leute in Filmen. Doch ihr ganzer Körper ist angespannt, als sie wartet, was jetzt passieren wird. Er hat einen leichten Schlaf, vielleicht geht jetzt schon seine Lampe an, jetzt gleich ...
Stille. Dunkelheit.
Maja wirft noch ein Steinchen und noch eins. Nichts passiert. Die Kälte kriecht unter ihre Kleidung und Maja wehrt sich nicht mehr dagegen, starrt nur hilflos nach oben. Was ist los? Warum wacht er nicht auf? Ist er nicht da? Aber warum sollte er denn weg sein?
Sie ist umsonst hergekommen. Sie wird Lorenzo nicht wiedersehen. Das war’s dann wohl mit der letzten Chance.
Sehr, sehr langsam kehrt Maja um. Nicht mal ihre Fußspuren wird er morgen im Garten finden, wenn es so weiterschneit. Soll sie ihm irgendeine Nachricht hinterlassen? Aber sie hat kein Papier, keinen Stift, wie konnte sie die nur vergessen?
In der Einfahrt steht der Familienwagen, ein silberner VW. Maja ist trostlos zumute, als sie ein letztes Zeichen für Lorenzo auf die verschneiten Autoscheiben malt:
Dann schwingt sie sich wieder aufs Rad.
»Soso.« Der Polizeibeamte verschränkt die Arme. »Da bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen, um eine Straftat zu verhindern.«
»Ich ...«, bringt Lorenzo heraus, doch es gibt keine Ausrede, die auch nur halbwegs passen würde. Cedric hätte vielleicht einen Weg gefunden, sich aus dieser Situation rauszubluffen, aber Lorenzo kann längst nicht so gut lügen.
»Name und Ausweis, bitte«, sagt der Mann.
In Zeitlupe gibt Lorenzo vor, in seinen Taschen zu suchen. Kann er an dem Typen vorbeisprinten, die Treppe runter, raus? Doch der Kerl scheint es zu spüren, denn er stellt sich so hin, dass er ihm den Weg versperrt. Lorenzo weiß, dass er trotzdem entkommen könnte ... wenn er jetzt lossprintet, ergeht es dem Typ nicht anders als denen, die ihn auf dem Weg zum Basketballkorb blocken wollen. Aber noch zögert er, Fragen drängen in ihm hoch, vielleicht ist das hier eine Chance, die er nicht wegwerfen darf. »Suchen Sie die Familie Köttnitz?«
»Ja«, sagt der Beamte knapp. »So, und jetzt weisen Sie sich bitte aus, oder wollen Sie, dass ich Sie mitnehme auf die Wache?«
»Moment«, meint Lorenzo und wühlt weiter in seinen Taschen, obwohl er genau weiß, dass er keinerlei Ausweise eingesteckt hat. Zwischendurch blickt er auf. »Was ist denn mit denen los? Mit der Familie?«
»Wir verfolgen da mehrere Hinweise.«
Lorenzo kapiert gar nichts. »Was für Hinweise? Wissen Sie denn, wohin die Familie verschwunden ist?«
»Wie erwähnt, wir forschen nach.«
»Aha«, sagt Lorenzo. »Aber es ist kein Verbrechen geschehen, oder?«
»Über laufende Ermittlungen kann ich leider nur begrenzt Auskunft geben«, erwidert der Mann. »Aber wir haben nicht die Vermutung, dass es sich um ein Verbrechen handelt.«
Lorenzo fühlt einen Anflug von Erleicherung. Immerhin etwas. Hätte ja sein können, dass irgendetwas Schlimmes vorgefallen ist. Und es ist beruhigend, dass die Polizei schon eingeschaltet ist und sich bemüht, Majas Spur aufzunehmen.
»Wir tun unser Bestes, um die Familie zu finden.« Abwägend blickt der Mann Lorenzo an, mustert ihn von oben bis unten, als wolle er ihn mit diesem Blick einscannen. »Und Sie? Wenn mich nicht alles täuscht, sind Sie kein gewöhnlicher Einbrecher, richtig?«
Lorenzo ist erleichtert. Sieht so aus, als würde er heute doch nicht mehr verhaftet, jedenfalls wenn er ein bisschen Glück hat. Spontan sagt er die Wahrheit: »Ich bin der Freund von Maja Köttnitz. Lorenzo Jaschke.«
»Ah.« Der Mann deutet mit dem Kinn auf die Haustür, in der noch der Dietrich steckt. »Dann würde ich sagen, wir vergessen das jetzt mal. Kurzschlussreaktion, richtig?«
»Absolut«, bestätigt Lorenzo eilig. So
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