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Und keiner wird dich kennen

Und keiner wird dich kennen

Titel: Und keiner wird dich kennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis
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wendet sich an Maja. »In München gibt’s eine Menge Clubs. Gehst du gerne in Clubs?«
    Clubs? Maja kann gerade nicht an Clubs denken, mechanisch nickt sie.
    Das Taxi hält vor einem Mehrfamilienhaus, das in Moosgrün gestrichen ist, die Farbe ist alt und schmuddelig. Estostraße. Am Klingelschild steht schon ihr neuer Name, Marquart. Beklommen steigt Maja aus, folgt Andreas und ihrer Mutter die Treppe hinauf. Drei Zimmer, immerhin nicht ganz so kahl wie die Baustelle, in der sie zuletzt gewohnt haben. Enge Küche im Eiche-Rustikal-Look, ein Bad, das im gleichen Grün gehalten ist wie die Fassade. Im Wohnzimmer stehen ein Tisch mit vier IKEA-Stühlen und ein rotes Cordsofa.
    »Wo schlafe ich?«, will Elias natürlich gleich wissen, und in einem der Zimmer finden sie zwei Einzelbetten. »Hier anscheinend«, sagt Maja, und ihre Stimmung verdüstert sich. »Und ich auch.« Im dritten Zimmer stehen nämlich nur ein Doppelbett und ein Schrank.
    »Aber wir müssen uns diesmal kein Bett teilen«, stellt Elias fröhlich fest und setzt Superdrache auf eins der Kopfkissen. »Das ist toll!«
    »Ja, ganz toll«, sagt Maja sarkastisch. Kinder sind wirklich hart im Nehmen! Kein eigenes Zimmer, sich nie zurückziehen können, ständig mit einem Siebenjährigen zusammen sein ... wie soll sie das aushalten? Aber sie protestiert nicht. Flucht ist Flucht. Hauptsache, in Sicherheit. Asylbewerber sind in einer ähnlichen Situation, nur noch deutlich mieser dran. Und die haben keinen Andreas, der ihnen das Händchen hält und ihre Koffer tragen hilft.
    Im Wohnzimmer sind Andreas und ihre Mutter damit beschäftigt, den Mietvertrag durchzugehen, auf dem Tisch liegen Papiere und Schlüssel. Dann verabschiedet sich Andreas. »Wenn ihr noch irgendetwas braucht ... einfach anrufen, okay?«
    »Okay«, sagt Lila und versucht ein herzliches Lächeln. »Sie haben so viel für uns getan.«
    Auch Maja und Elias bedanken sich, dann verabschiedet sich ihr Betreuer reihum. »Also tschüss, Julia, Alissa, viel Glück, Finn.«
    Dann ist Andreas weg und einen Moment lang herrscht Schweigen in der neuen Wohnung. Dann atmet Lila tief durch und stößt den Atem lautstark wieder aus. »Wir können jetzt raus, einfach so, ist das nicht cool?«
    Maja ekelt sich vor der falschen Fröhlichkeit in ihrer Stimme. In Wirklichkeit kostet es sie garantiert enorme Überwindung, rauszugehen. Die Angst bleibt. Denn jeder Schritt vor die Tür bedeutet ab jetzt, möglicherweise erkannt zu werden. Einmal, als Elias noch klein war, haben sie ihre Ferien auf einer winzigen Azoren-Insel verbracht – und dort ihre Nachbarn aus der Wohnung über ihnen getroffen. Okay, im Urlaub verteilen sich die Leute, die man kennt, weiträumig über die ganze Welt, und die Wahrscheinlichkeit, dass zum Beispiel jemand aus ihrer Klasse ausgerechnet in Bayern herumhängt, ist nicht groß. Und trotzdem ...
    Lila lässt nicht locker. »Ich gehe jetzt alles erkunden, wer geht mit?«
    »Ich!«, schreit Elias und poltert durch den Flur wie eine Planierraupe.
    »Ich gehe später«, sagt Maja und nutzt die Gelegenheit, sich auf dem Sofa langzumachen. Nach kurzem Zögern klappt sie ihren Laptop auf. Sie hat all ihre Daten und Fotos auf CDs gebrannt – die kommen so bald wie möglich in ein Bankschließfach, so wie ein paar andere Erinnerungsstücke, etwa ein Album mit Elias’ Babyfotos. Nach dem Brennen hat Maja die Festplatte des Laptops plattgemacht, damit nichts mehr auf ihrem Rechner etwas über ihr bisheriges Leben verraten kann – ein Tipp von Andreas. Was für ein seltsames Gefühl. Alles leer. Keine Ordner, keine Verzeichnisse mehr. Nur in ihrem Kopf ist alles noch vorhanden, es gibt keinen Löschbefehl, der ihre Erinnerungen ausradieren kann.
    Mit einem Surfstick, den ihr Andreas beschafft hat, geht Maja ins Internet und richtet sich ein neues Mail-Postfach ein. Die Versuchung, bei ihrem und Lorenzos ehemaligem Blog Treibgut vorbeizuschauen und zu sehen, ob er ihn aktualisiert hat, ist fast übermächtig. Aber irgendwie bringt sie es fertig, es nicht zu tun, und stattdessen surft sie zu einer Bücherseite. Facebook ist tabu, aber das macht nichts, sie will gar nicht mehr hin – zu deprimierend. Null Freunde.
    Und keiner wird dich kennen , kommen ihr die Worte der Hauptkommissarin in den Sinn. Zum ersten Mal wird Maja klar, was das wirklich bedeutet.
    Zweieinhalb Stunden später kehren Lila und Elias gut gelaunt zurück, pralle Einkaufstüten in den Händen. Elias mampft eine riesige

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