Und keiner wird dich kennen
in die Hände laufen und klatscht sie sich ins Gesicht. Er hat weiche Knie. So nah war er noch nie dran, Maja zu betrügen. Aber – ist das eigentlich Betrügen? Maja ist verschwunden, er weiß nicht, ob er sie jemals wiedersieht. Wie lange kann er ihr nachtrauern, ohne dass sein Herz versteinert? Er weiß es nicht.
Er weiß nur, dass es jetzt noch zu früh ist, sich in irgendetwas anderes zu stürzen. Nichts wie raus hier. Dieser Geruch nach Stein und Politur und Orchideen schnürt ihm die Kehle zu.
»Zeigst du mir wenigstens, ob die Bilder was geworden sind?«, ruft Natascha, sie klingt ziemlich angepisst.
Das kann er ihr wohl kaum verwehren. Schweigend reicht er ihr die Kamera, und sie klickt sich durch die Aufnahmen. Ihre Laune bessert sich spürbar. »Wow. Ich sehe richtig wild aus. Erst dachte ich, du hast ein Rad ab, als du mich so herumkommandiert hast, aber es hat funktioniert. Meinst du, das hier kann ich einreichen? Oder dieses?«
»Am besten beide«, sagt Lorenzo, plötzlich müde. »Ich brenne sie dir auf CD, ja? Damit habe ich meinen Teil des Deals erfüllt. Jetzt bist du dran.«
Sie blickt ihn an. »Ich tue mein Bestes. Aber ich kann für nichts garantieren. Wenn Liliana sagt, dass sie es nicht macht, tja ...«
Lorenzo fühlt Wut in sich aufsteigen. Hatte sie überhaupt je vor, ihren Teil des Deals zu erfüllen? Es war ein guter Köder, brav hat er ihn gefressen. Natürlich war er auch irgendwie stolz darauf, dass sie ihn als Fotograf ernst nimmt und von ihm abgelichtet werden will. Aber jetzt kann sie bei ihren Freundinnen erzählen, dass sie mit Lorenzo herumgeknutscht hat ...
»Also dann bis Montag in der Schule«, sagt Lorenzo, zieht seine Jacke an, hängt sich die Kameratasche um und geht, ohne sich noch mal umzudrehen. Wieder muss er an Maja denken. Was sie wohl gerade macht? Wahrscheinlich gar nichts, es ist schon nach zwölf.
Wo ist sie nur? Geht es ihr gut? Es macht ihn noch verrückt, dass er nicht weiß, ob mit ihr alles in Ordnung ist!
Zum Glück haben sie noch Stellas Taschenlampe. Stella kniet sich auf den Rand des Aufzugs und leuchtet die Mechanik ab. »Mist, das Ding hat sich an der Fahrschiene verklemmt.«
»Und was bedeutet das?«, fragt Maja mit schlechtem Gewissen. Hätte sie diese verdammte Taschenlampe nicht besser festhalten können? Jetzt steht sie hier im Dunkeln und so richtig gut fühlt sich das nicht an. Immerhin, in die Tiefe stürzen wird sie vermutlich nicht, der Aufzug steckt im Schacht wie ein viereckiger Korken, an den Seiten sind nur zwei Handlängen Platz. Sie darf bloß mit dem Fuß nicht dort hineingeraten oder sich in irgendeinem Kabel verheddern.
Stella holt einen Schraubenzieher aus ihrem Rucksack. Gut eine Viertelstunde lang stochert Stella an dem verklemmten Stück Metall herum und Maja leuchtet ihr dabei. Schließlich richtet sich Stella ächzend auf. »Sieht schlecht aus.«
»Tja, was jetzt? Hilfe holen?« Maja fummelt ihr Handy aus den Taschen ihres Hoodies, lässt das Display aufleuchten. Sie hat Empfang, was ziemlich erstaunlich ist, wenn man bedenkt, wie viel Metall sie umgibt.
»Die Frage ist nur, wen wir anrufen könnten«, meint Stella.
Nachdenkliches Schweigen in der Dunkelheit. Stella hat die Taschenlampe ausgeschaltet, damit die Batterie länger hält.
»Unsere Eltern besser nicht«, sagt Maja und verzieht das Gesicht, obwohl Stella es sowieso nicht sehen kann. Sie möchte nicht unbedingt hören, was ihre Mutter zu diesem Stunt zu sagen hat, und aus diesem Fahrstahl heraushelfen könnte die ihr jetzt sowieso nicht. »Feuerwehr? Polizei?«, schlägt sie vor.
Beim Gedanken daran, dass sie auf der Polizeiwache landen könnten, scheint Majas Magen in Richtung ihrer Kniekehlen zu rutschen. Was passiert eigentlich, wenn die Beamten ihren Namen in ihren Computer eingeben – steht dann da, wer sie wirklich ist, dass sie eine neue Identität hat? Die Polizei müsste ja eigentlich Bescheid wissen, die hat das Ganze ja eingefädelt.
Und besonders viel Lust, sich eine Vorstrafe einzuhandeln, hat Maja nicht. Das hätte sie sich auch vorher überlegen können, bevor sie mit Stella hier raufgeklettert ist. Einbruch? Nein, wohl eher Hausfriedensbruch, Stella hatte ja den Code und sie haben nichts beschädigt. Bis jetzt jedenfalls.
Doch zum Glück sagt Stella jetzt: »Nein, die Feuerwehr erst mal nicht. Unten in der Kabine steht die Nummer der Firma, die das Ding hier gebaut hat. Sie haben sogar eine 24-Stunden-Bereitschaft.«
Trotz allem
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