Und keiner wird dich kennen
für einen Sinn ergibt das denn? Trifft er sich erst morgen mit dem Mädchen?
Verwirrt und gereizt reiht sich Robert hinter dem Jungen ein, belauscht das Gespräch mit der Kassiererin und kauft eine Karte für den gleichen Film. Anschließend warten sie beide vor Saal 7 auf den Einlass. Abwesend blättert der Junge in einer dieser kostenlosen Filmzeitschriften, er wirkt einsam und in sich gekehrt. Und auf einmal steigen Erinnerungen in Robert hoch, daran, wie es war, früher in seiner Schulzeit allein wegzugehen. So oft allein. Bis die Mädchen ihn entdeckten. Aber es gab kaum eine, die ihm etwas bedeutete, die für ihn mehr war als ein hübscher Körper. Und die, die er wollte, behandelte ihn wie Luft und schrie ihn an, als er ihr folgte und ihr seine Liebe gestand.
Plötzlich tut der Junge ihm leid, fast möchte er ihn trösten, ihm Gesellschaft leisten. Ihm irgendetwas Gutes tun. Fragt sich nur, wie. Spontan schaut Robert in seinem Portmonnaie nach, zieht zwei Fünfziger-Scheine hervor. Lehnt sich kurz an das Geländer neben den Jungen und tut so, als würde er sich die Nase putzen, lässt dabei die beiden Scheine zu Boden flattern. Der Junge bemerkt es nicht, er ist in Gedanken versunken. Aber gleich wird er das Geld sehen, gleich, und vielleicht freut er sich dann einen Moment lang, wenn er es findet.
Der Junge schaut auf die Uhr, seufzt und klappt das Film-magazin zu. Er kramt seine Kinokarte hervor, sucht mit den Augen nach dem richtigen Saal, stößt sich vom Geländer ab und geht los. Über das Geld latscht er einfach drüber, ohne es zu bemerken. So ein Depp! Robert setzt sich in Bewegung, um die Scheine zurückzuholen, doch zwei Jungs in bunt bedruckten T-Shirts kommen ihm zuvor, heben es johlend auf und klatschen sich ab.
Verdammt. Und jetzt auch noch zwei Stunden mit diesem Film-Geheimagenten. Dabei hasst er diesen Wichtigtuer, dem nie etwas schiefgeht, der ständig die Welt rettet und dann so tut, als wäre gar nichts dabei.
Nicht sein Tag heute. Nein, absolut nicht sein Tag.
Ernstfall
Ihre Mutter schaut Maja an, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf, als sie am nächsten Morgen wieder nach München will. »Alissa, weißt du eigentlich, wie ansteckend dieser verdammte Noro-Virus ist? Willst du das deinen Freunden wirklich zumuten?«
»Nein«, sagt Maja gepresst. Viermal hat Elias gestern noch gespuckt, er konnte nicht mal Wasser bei sich behalten. Und noch in der Nacht, nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus, fing es dann bei ihrer Mutter an. In der Wohnung stinkt es noch immer nach Erbrochenem. Immerhin, Lila wirkt schon wieder recht munter. Gute Abwehrkräfte.
Draußen vor der Haustür, wo niemand sie belauschen kann, ruft Maja Lorenzo an, um das Frühstück abzusagen. »Kann man nichts machen – schau, dass wenigstens du gesund bleibst«, sagt er tapfer, aber sie hört am Klang seiner Stimme, wie traurig er ist.
»Komm gut heim«, wünscht ihm Maja und sagt, dass sie ihn liebt – dann kann sie nicht mehr, ihre Stimme bricht, sie muss auflegen.
Zwei Stunden später hängt sie selbst über der Kloschüssel.
Es ist ein kurzer, aber heftiger Virus – am Montag geht es ihr und dem Rest der Familie schon wieder gut, sie kann in die Schule, als sei nichts gewesen. Wie unwirklich sich dieses neue Leben anfühlt, ein Teil von Maja ist noch ganz woanders, bei Lorenzo: Sie sieht ihn durch die Gänge ihres alten Gymnasiums laufen, im Unterricht sitzen, in der Mensa essen. Erst nach ein paar Stunden verfliegt das eigenartige Gefühl, die Fantasien verblassen, und als Stella leise fragt, wie es denn war mit ihm, kann Maja schon wieder lächeln. »Traumhaft war es.«
»Toll«, sagt Stella, und Maja ist erleichtert. Anscheinend trägt ihr Stella nicht nach, dass sie ihrem Rat nicht gefolgt ist.
Traumhaft ist es noch immer. Mit Stella und Lorenzo an ihrer Seite hat sie wieder ein Leben, das diesen Namen verdient. Robert Barsch kommt ihr sehr fern vor. Und draußen wird es endlich Frühling. In den Pausen sind sie alle auf dem Schulhof und lassen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Blütenkelche überall, erstes Grün am Rand der Waldwege und der Himmel blau-weiß wie die bayerische Flagge. Johanna lädt sie zum gemeinsamen Kochen mit ein paar anderen Freundinnen ein, außerdem gehen sie in ein Bräuhaus, weil ihre neuen Freunde der Meinung sind, das müsste man als »Zugereiste« unbedingt gesehen haben. Doch Maja kapiert nicht einmal die Speisekarte. »Könntet ihr mir das bitte mal
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