Und keiner wird dich kennen
fühlt sich hilflos, so furchtbar hilflos. »Das war der Kerl, der uns verfolgt. Dieser Stalker, von dem ich dir erzählt habe. Wetten, der Dienstausweis war gefälscht?«
»Scheiße!« Jetzt fällt auch bei Stella der Groschen. Sie schlägt sich mit der Hand vor die Stirn. »Mann, das hätte ich mir denken können! So kam mir die ganze Sache nur reichlich komisch vor, und ich dachte, ich warne dich lieber.«
Irgendetwas ist schiefgegangen. Irgendetwas . Hastig holt Maja ihr Portmonnaie aus der Tasche, ihre Finger fühlen sich ungeschickt und klamm an, erst beim zweiten Versuch kann sie das Ding aus der Tasche zerren. Sie friemelt einen Fünfeuroschein heraus und lässt ihn auf den Tisch fallen. »Ich muss sofort nach Hause. Meine Mutter muss das wissen. Jetzt gleich!«
Stella quatscht nicht herum, stellt keine Fragen mehr. Sie wirft ebenfalls einen Schein auf den Tisch und dann rennen sie zu ihren Rädern. In Rekordzeit legen sie den Weg zur Estostraße zurück. Dort angekommen, macht sich Maja nicht die Mühe, ihr Rad abzuschließen. Ihre Hände zittern, als sie die Haustür öffnet und nach oben rennt. Zum Glück ist Lila gerade da, sie kritzelt in einem Manuskript herum und blickt verblüfft auf, als Maja hereinplatzt, Stella dicht auf den Fersen. Eine Manuskriptseite flattert unbeachtet auf den Boden.
»Was?«, presst ihre Mutter hervor, vielleicht kann sie die schlechten Nachrichten schon an Majas Gesicht ablesen.
»Jemand hat sich nach uns erkundigt«, sagt Maja grimmig und stößt Stella in die Rippen, damit sie ihre Geschichte noch einmal erzählt.
»Das ist er«, sagt Lila, als Stella ihren Bericht beendet hat. Ihre Stimme klingt ruhig, doch ihr Gesicht ist so blass, dass die Haut fast durchscheinend wirkt. »Es war immer seine Masche, sich als Polizist oder so was auszugeben.«
Nein, denkt Maja. Nein. Nein. Heißt das, dass auch ihr Leben als Alissa schon wieder zu Ende ist? Es hat doch gerade erst begonnen! Das darf nicht sein, bitte nicht!
»Wenn er schon vor ein paar Tagen nach uns gefragt hat, dann weiß er womöglich schon unsere neuen Namen. Oder zumindest meinen.« Ihre Mutter greift nach dem Telefon, tippt eine Nummer. »Alissa, pack schon mal deinen Koffer und einen für Finn. Nur das Wichtigste. Mach schnell!«
»Wen rufst du an? Die Polizei? Oder Andreas?«, fragt Maja, schon auf dem Weg aus dem Zimmer. Vielleicht kann Andreas ihnen noch irgendwie helfen, schließlich hat er ihre Zuflucht hier organisiert ...
»Erst mal sage ich der Schule Bescheid. Wir holen Finn aus dem Hort ab, jetzt gleich. Dann ab zur Polizei.«
Erschrocken steht Stella noch immer im Zimmer, doch Maja hat jetzt keine Zeit für sie, sie muss packen, zum zweiten Mal schon in aller Hast. Diesmal geht es schneller, sie hat ja nicht mehr so viel Zeug. Wieder einmal muss Elias’ Vulkanmodell zurückbleiben. Aber wohin sollen sie denn überhaupt fahren mit diesem Gepäck? Sie sind doch schon so weit geflohen, wie sie konnten. Welcher Ort soll denn nun sicher sein? Es gibt keinen sicheren Ort mehr. Nirgendwo.
Doch am schlimmsten ist das nagende Gefühl, dass dies hier ihre Schuld ist. Allein ihre Schuld! Sie hat zwei Menschen sehr viel mehr gesagt, als gut war. Sie hat wieder mit Lorenzo Kontakt aufgenommen trotz ihres Versprechens, alle Brücken hinter sich abzubrechen. Das Treffen war ein furchtbarer Fehler! Was haben sie falsch gemacht, was war der entscheidende Moment, in dem alles den Bach hinunterging?
Majas und Stellas Blicke kreuzen sich. »Es war ein Fehler«, stammelt Maja, und Stella nickt, sie weiß sofort, wovon sie spricht.
»Ja, das war es wohl«, sagt Stella, und das Grün ihrer Augen wirkt matt und kraftlos. Sie ahnt wohl auch, was das alles bedeutet. Dass Maja nicht mehr lange hier sein wird. »Aber du konntest nicht anders, oder?«
»Ich hätte stark sein müssen. Stärker.« Majas Augen brennen. Es ist längst zu spät für Reue. Ein Zurück gibt es nicht mehr.
Jetzt könnte Stella ein Ich hab’s dir doch gesagt loswerden, an ihre Warnung erinnern. Aber sie strafft nur die Schultern. »Falls ihr erst mal irgendwo anders übernachten müsst ... dann könnt ihr natürlich zu uns kommen. Wir haben genug ...«
Lilas Ruf »Wie bitte!?« aus dem Nebenzimmer unterbricht sie. Alarmiert wenden sie und Maja die Köpfe und lauschen.
»Was soll das heißen, er ist schon abgeholt worden? Wer hat ihn abgeholt?« Lilas Stimme ist schrill wie eine Kreissäge. »Was für eine Vollmacht? Ich habe nichts
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