Und keiner wird dich kennen
Polizeischutz, bis der Mann gefasst ist«, verspricht der Kommissar, doch in Maja sträubt sich dennoch alles dagegen, wieder dorthin zu fahren.
»Besser, ihr kommt zu uns«, bietet Stella noch einmal an, und Lila nickt erschöpft.
Tellkamp wendet sich der blonden Kollegin mit dem Pferdeschwanz zu: »Frau Link, Sie bleiben bitte in der Wohnung an der Estostraße, für den Fall, dass dort eine Nachricht von Robert Barsch eintrifft. Außerdem müssen wir von dort noch DNA-Proben von Finn holen. Herr Weiden, Sie behalten mit einer Streife den neuen Standort der Familie im Auge.«
Maja ist froh, als sie endlich die Wache verlassen können. Ein Taxi bringt sie zum Haus von Stellas Familie in der Donaustraße. Gerade ist nur Stellas Mutter daheim, sie weiß schon Bescheid, weil Stella sie telefonisch vorgewarnt hat. »Es tut mir so leid, ich hoffe, Ihr Junge wird bald gefunden«, sagt sie. »Setzen Sie sich doch, was wollen Sie trinken ...? Ich bin übrigens Vanessa, wollen wir uns duzen?«
»Julia«, sagt Majas Mutter und versucht zu lächeln. Sie hält also an der neuen Identität fest, obwohl sie aufgeflogen ist – das ist wahrscheinlich das Beste, alles andere würde ihre neuen Freunde nur verwirren.
Maja und Stella gehen hoch in Stellas Zimmer. »Ich hole dir eine Matratze, damit du hier pennen kannst«, kündigt Stella an und schiebt rasch irgendetwas in eine Schublade, was vorher auf dem Nachttisch gelegen hat. Was war das denn? Maja wundert sich, ist aber zu fertig, um sich wirklich dafür zu interessieren. Sie fühlt sich so schwach und wackelig wie bei einer Grippe. Elias – an etwas anderes kann sie nicht denken. Kurz ruft sie Lorenzo an, um ihm zu sagen, was passiert ist, aber für mehr als ein paar Worte hat sie keine Kraft. Apathisch lässt sie sich auf Stellas Bett fallen und sieht zu, wie ihre Freundin emsig Laken und Bezüge heranschleppt.
Unten klingelt das Telefon. Maja schießt hoch, rast die Treppe hinunter, und stellt fest, dass es nur ein Anruf für eine von Stellas Schwestern war. Während Vanessa, Stellas Mutter, irgendetwas in der Küche werkelt, sitzt Lila auf dem Sofa, umklammert ihr Handy und ist noch immer blass wie eine Marmorstatue. Spontan setzt sich Maja neben sie und legt den Arm um sie. Doch ihr fällt nichts ein, was sie sagen könnte – dies hier ist das Ende der Welt, ihrer Welt, und einen Trost gibt es nicht. Und nur eine winzig kleine Hoffnung.
»Was ich nicht kapiere, ist, wie er und seine Helfer uns diesmal finden konnten«, sagt ihre Mutter dumpf. »Ich meine, klar, er ist IT-Experte und außerdem unglaublich raffiniert, aber wir waren doch so vorsichtig ...«
Jetzt. Sie muss es jetzt sagen. Aber es ist so furchtbar schwer. Hundertmal schlimmer, als vom Zehnmeterbrett zu springen, denn diesmal wartet unten kein Wasser auf sie, sondern Beton.
»Mama ...«, beginnt Maja, doch ihre Mutter murmelt: »Ich muss meine Mails checken, vielleicht hat er uns eine Nachricht per Mail geschickt, das kann ja sein, er ...«
»Mama«, wiederholt Maja lauter, und ihre Mutter schrickt zusammen, wendet sich ihr verwundert zu. Sie wird zuhören, zumindest einen Moment lang. Maja holt tief Luft. »Wahrscheinlich ist es meine Schuld.«
»Was? Warum?« Lilas Blick ist wild. »Maja! Was hast du gemacht?«
»Ich habe mich mit Lorenzo getroffen. In München. Vor drei Wochen.« Maja sagt es schnell, um es hinter sich zu bringen. Ein unangenehmes Kribbeln durchläuft ihren Körper, sie weiß, was jetzt kommt. Der Shitstorm, den sie verdient hat.
In den Augen ihrer Mutter steht eine Wut, die Maja noch nie gesehen hat. Eine irre, flammende Wut. Sie springt auf, zerrt Maja am Arm hoch. »Du hast dich mit Lorenzo getroffen? Bist du denn wahnsinnig ? Jetzt siehst du, was du angerichtet hast!« Ihre Hand saust auf Maja zu, ein brennender Schmerz auf ihrer Wange. Maja wehrt sich nicht, sagt kein Wort, jede Strafe ist ihr recht. Der Schmerz in ihrem Inneren ist um so vieles größer.
»Hast du denn nur einen Moment lang an uns gedacht?«, brüllt ihre Mutter sie an. »Oder nur an dich, immer an dich? Wie konntest du so egoistisch sein?«
»Es tut mir furchtbar leid«, würgt Maja hervor, und eine weitere Ohrfeige landet auf ihrer Wange.
»Ja! ›Furchtbar‹ ist das richtige Wort! Alles kaputt gemacht hast du, und wenn ...«
»Hören Sie auf!«, schreit jemand, und plötzlich steht Stella vor Maja, so wie damals auf der Party, sie schiebt sich einfach zwischen Maja und ihre Mutter. Die
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