Und keiner wird dich kennen
sprechen will er nicht, und wenn Lila nicht mit ihm reden kann oder will, wird es schwierig. So geht das nicht! Vielleicht gibt es eine andere Lösung – es gibt jemanden in der Familie, der ihm ein bisschen ans Herz gewachsen ist, mit dem man wahrscheinlich vernünftig reden kann. Ja, diese Lösung gefällt ihm, er wird sie vorschlagen. Aber jetzt lässt er sie erst einmal ein wenig schmoren, es sind noch einige Stunden bis vierzehn Uhr.
Bestimmt ist dem Kind langweilig. Aber Robert hat vorgesorgt und eine ganze Box mit sämtlichen Tom & Jerry -Filmen besorgt. Die Classic Collection, zwölf DVDs. Er schiebt eine Plastikrolle beiseite, packt den Schlafsack und zieht ihn so hin, dass der Junge aufrecht an eine volle Palette gelehnt sitzt. Dann startet er den DVD-Player, Kater und Maus legen los. Der Blick des Jungen klebt am Bildschirm, seine Augen sind weit aufgerissen, sie glänzen wie Porzellan.
Zufrieden macht sich Robert daran, seinen BMW zu polieren, Politur und Lappen hat er neulich besorgt. Der Lack hat’s nicht wirklich nötig, aber sonst gibt es ja nicht viel zu tun. Zündkerzen einstellen könnte er auch mal.
Nach ein paar Stunden hat er keine Ahnung mehr, was er noch an seinem Auto tun könnte. Und weil es schon ewig her ist, dass er selbst die Serie gesehen hat, lässt er sich neben dem Kind auf dem Boden nieder. Es ist eine gute Folge, total witzig. Einmal muss Robert laut lachen. Aber das Kind verzieht keine Miene. Robert nimmt ihm den Knebel heraus. »Findest du das etwa nicht lustig?«
Der Junge antwortet nicht, schaut nur unsicher zu ihm auf.
»Also, was ist?«, drängt Robert Barsch. »Das ist doch cool, dass du hier den ganzen Tag Fernsehen schauen darfst, oder?«
Auf dem Bildschirm wird der Kater gerade von einer Dampfwalze überfahren, platt wie ein Handtuch liegt er auf der Straße. Wieder keine Maus gekriegt, echt Pech.
»Ja«, sagt das Kind leise. Aber als Robert bei der nächsten Folge mal zu ihm rüberschaut, hat es die Augen geschlossen.
»Ach, du pennst lieber, oder was!« Robert spürt, wie Wut in ihm aufsteigt. Das hat man davon, wenn man mal was Gutes tun will. Ohne den tragbaren DVD-Player zuzuklappen, schleudert er ihn auf die Rückbank seines Wagens. Ein lautes Knacken und der Bildschirm ist hin. Mist! Das Ding hat über hundert Euro gekostet und jetzt ist es Schrott.
Alles die Schuld des verdammten Görs!
Lila laufen die Tränen über die Wangen. »Ich hätte weiter mit ihm reden müssen ... ich rufe jetzt sofort noch mal an!« Eine Polizistin hat ihr den Arm um die Schultern gelegt, um sie zu stützen. Skeptisch fragt sie: »Fühlen Sie sich wirklich schon stark genug?«
»Erhol dich wenigstens noch einen Moment«, meint auch Maja besorgt. Kein Wunder, dass ihre Mutter eben kollabiert ist, mit Robert Barsch sprechen zu müssen, ist sicher furchtbar für sie.
Es ist, als hätte Maja kein Wort gesagt. Lila ignoriert sie noch immer völlig. Stattdessen macht sie ihre Ankündigung wahr und wählt noch einmal Barschs Nummer, doch sein Handy ist ausgeschaltet.
Wie seltsam die Stimmung in Stellas Haus ist. Halb Das-Leben-geht-weiter, halb Wagenburg. Fast schuldbewusst schmieren Stellas Schwestern ihre Frühstücksbrötchen, sie reden leise miteinander. Außer ihnen hat kaum jemand Hunger. Stella, die neben Maja sitzt, nagt an einer winzigen Ecke Toast herum. Lila trinkt in hektischen Schlucken einen Kaffee, sie blickt Lorenzo an, als wäre er Luzifer persönlich. »War das wirklich nötig? Dass du hier auftauchst – ungefragt?« Unter ihrem Auge zuckt mal wieder ein Muskel.
»Es war ein bisschen spät gestern«, versucht ihn Maja zu verteidigen. »Wir konnten niemand mehr fragen ...«
»Das ist schon in Ordnung, es ist eben eine besondere Situation«, steht ihr Stellas Vater bei und trinkt noch schnell seinen Orangensaft aus. »Noch platzt das Haus nicht aus den Nähten.« Er sieht verstohlen auf die Uhr, vermutlich wird er bald in seiner Praxis erwartet.
»Ja, es war nötig«, sagt Lorenzo ruhig. Unter dem Tisch hält er Majas Hand, lässt sie keinen Moment los. Das tut so gut, es gibt Maja Kraft ... und die hat sie dringend nötig. Es war mutig von Lorenzo, herkommen – besonders ihre Mutter und Stella lassen ihn spüren, dass sie ihn für mitschuldig halten an dieser Katastrophe, ein anderer wäre in dieser Eiseskälte erfroren. Lorenzo ist zwar so blass, dass seine Haare noch röter leuchten als sonst, aber ansonsten lässt er sich nichts anmerken.
Bernd
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