Und keiner wird dich kennen
heulen.
»Hör auf zu flennen!«, fährt Robert Barsch den Jungen an, aber der schluchzt noch lauter. Am liebsten würde er ihm die Hände um den Hals legen und so lange zudrücken, bis dieses nervige Geräusch aufhört, dieses Geräusch, das er einfach nicht ertragen kann ...
Doch dann fällt sein Blick auf seine Armbanduhr. Fünf Minuten vor zwei. Er hat versprochen, sich um vierzehn Uhr zu melden, und sämtliche Kunden von Barsch Consulting wissen, dass man sich auf ihn verlassen kann, Zuverlässigkeit war immer seine Stärke. Rasch stopft er dem Kind den Knebel wieder in den Mund, dann tippt er die Nummer, die der Bulle ihm gegeben hat, in sein Handy.
»Ich bin’s«, sagt er kühl. »Nur damit Sie es gleich wissen: Ich werde entweder mit Lila reden oder mit dem Jungen.«
»Welchem Jungen?« Der Beamte klingt verblüfft.
»Lorenzo Jaschke«, sagt Robert. »Dem Freund der Tochter, haben Sie das noch nicht herausgefunden? Wofür bezahlt man Sie eigentlich? Sie haben genau drei Minuten Zeit, ihn an den Apparat zu holen.«
»Bist du Lorenzo Jaschke?«, fragt ihn der Kommissar, und Lorenzo nickt verwirrt. »Ja, wieso?«
»Barsch will dich sprechen.«
Alle Augen in diesem Wohnzimmer richten sich auf ihn. Lorenzo versucht, Luft zu holen, aber seine Lungen spielen nicht mit. Schließlich quetscht er irgendwie hervor: »Mich?« Auf dem Sofa sitzt der eigens für die Verhandlungen herbestellte Psychologe, er blickt verblüfft drein. »Vielleicht ist es besser, wenn zunächst ich ...«
Doch der Beamte winkt ab, er blickt noch immer Lorenzo an. »Ja, dich«, wiederholt er, und sein Blick durchbohrt Lorenzo. Er braucht nicht auszusprechen, was er denkt, Lorenzo weiß es auch so. Woher kennt er dich, was hast du mit ihm zu schaffen, bist du sein Verbündeter?
Behutsam lässt Lorenzo Majas Hand los, steht auf, geht hinüber zu dem Beamten, der ihm das Telefon hinstreckt. Es ist auf Lautsprecher geschaltet.
Gleich wird er mit einem Verbrecher reden, vielleicht sogar einem Psychopathen. Ein kurzer Panik-Flash durchzuckt Lorenzo. Ich kann das nicht, ich werde alles verbocken!
Aber er hat keine Wahl. Schon hält er den glatten Kunststoff des Telefons zwischen den Fingern.
Verbündete
»Hallo?«, krächzt Lorenzo. »Herr Barsch?«
»Nenn mich Robert«, sagt ein Mann – seine Stimme kommt Lorenzo irgendwie bekannt vor. Wo hat er sie schon einmal gehört? Es ist nicht lange her, aber er kommt nicht drauf.
»Okay.« Lorenzo zögert. »Woher kennen Sie ... woher kennst du mich eigentlich?«
»Wir kennen uns schon lange.« Ein leises Lachen. »Weißt du noch, vor der Haustür der Familie Köttnitz? Das mit dem Schlösserknacken musst du noch ein bisschen üben.«
Ach du Scheiße! Dieser Polizisten-Typ! Das war Majas Stalker! Und jetzt hat er gerade vor der versammelten Kripo kundgetan, was Lorenzo dort vorhatte. Lorenzo spürt, wie seine Wangen heiß werden, wahrscheinlich ist sein Kopf jetzt genauso rot wie seine Haare.
»Auch deine Beobachtungsgabe könntest du noch trainieren. Auf dem Frankfurter Hauptbahnhof hätte dir ein Junkie beinahe die Geldbörse geklaut.«
»Oh«, ist das Einzige, was Lorenzo herausbringt. Also ist er doch verfolgt worden bei seiner Fahrt – er hat diesen Mistkerl geradewegs zu Maja geführt!
»Hab ihn von dir weggesteuert. Den Junkie.«
»Äh, danke ... Robert.«
»Gern geschehen.«
Wie seltsam ... der Kerl klingt nicht aggressiv, eher umgänglich, nie wäre Lorenzo auf die Idee gekommen, jemand mit dieser Stimme könnte so gefährlich sein. Inzwischen ist seine Neugier stärker als seine Angst zu versagen. »Kann ich Sie ... dich ... mal was fragen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, wagt sich Lorenzo weiter vor: »Fühlst du Hass auf Lila und Maja?«
»Schwierige Frage.« Es gibt eine kurze Pause, Robert Barsch scheint nachzudenken. »Ich war sauer, ja, absolut. Aber inzwischen bin ich bereit, Lila zu vergeben, wenn sie wiedergutmacht, was sie angerichtet hat.«
Damit meint er wohl die Trennung und seinen seelischen Schmerz. Was Lila fühlt, ist ihm offensichtlich egal. Ist es ein gutes oder schlechtes Zeichen, dass er kein Wort über Maja verloren hat? Wohl eher gut.
Der Psychologe nickt ihm zu, lauscht und versucht zum Glück nicht, sich einzumischen. Aber die Frauen sind dabei, hastig irgendetwas auf ein Blatt Papier zu schreiben, Lila hält es hoch: ELIAS!!! steht darauf. Auch der Kommissar flüstert ihm zu: »Frag nach dem Jungen!«
Logisch, das hätte er jetzt
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