Und keiner wird dich kennen
nur, ihre Miene ist undurchdringlich, und Maja fällt wieder ein, dass sie heftig dagegen war, dass sie und Lorenzo sich getroffen haben. Trägt sie das Lorenzo nach? »Ist es okay, wenn er herkommt?«, fragt sie Stella.
»Wo soll er denn sonst hin?«, sagt Stella knapp.
Das klingt nicht sonderlich herzlich, aber Maja hat keine Wahl. Wenn er nicht hierherkommen kann, muss er in der kalten, leeren Wohnung in der Estostraße übernachten. Sie simst ihm Stellas Adresse und kann es kaum erwarten. Diesmal müssen sie nicht mal vorsichtig sein, Robert Barsch weiß ohnehin, wo sie sind.
Irgendwann nach Mitternacht gehen ihnen die Worte aus und sie liegen einfach auf ihren Matratzen und hören Musik. Adele, Patti Smith, Amy Macdonald, ein afrikanischer Singer-Songwriter, dessen Name sich Maja nicht merken kann. Sie verschränkt die Arme hinter dem Kopf, blickt nach oben, an die Decke, doch das schwebende Auge dort macht sie nervös. Was findet Stella an diesem unheimlichen Bild?
Es klingelt. Maja poltert nach unten und öffnet. Und da steht Lorenzo. Er nimmt sie in die Arme, hält sie wortlos ganz lange fest. Doch dann hört sie Stellas Stimme, kühl diesmal: »Du bist also der Typ, wegen dem jetzt die Kacke am Dampfen ist?«
Erschrocken wendet sich Maja um, will etwas erwidern, aber Lorenzo kommt ihr zuvor. »Ja«, sagt er ruhig und begegnet Stellas Blick. »Das bin ich wohl.«
»Na, dann herzlichen Glückwunsch«, ätzt Stella.
Das ist ja noch schlimmer, als sie befürchtet hat! Maja hält dagegen: »Vorhin hast du meiner Mutter noch gesagt, dass Robert Barsch schuld ist, der Täter. Hast du deine Meinung geändert, oder was?«
Stella verschränkt die Arme. »Nee. Aber ihr habt es ihm verdammt leicht gemacht. Das habe ich natürlich vorhin nicht betont, wäre ja blöd gewesen, wenn deine Mutter dich noch mehr zusammengeschlagen hätte.«
»Und du wolltest kein Blut auf eurem Teppich, richtig?«, gibt Lorenzo trocken zurück. Doch Stella grinst nicht, ihr Gesicht bleibt so starr wie zuvor. »Du kannst oben pennen«, sagt sie und geht ihnen voraus die Treppe hinauf.
»Ist die immer so drauf?«, flüstert Lorenzo ihr zu, und Maja schüttelt wortlos den Kopf. Es fühlt sich an, als sickere die letzte Kraft aus ihrem Körper. Zwei der Menschen, die ihr am meisten bedeuten, können sich nicht ausstehen ... dabei braucht sie jetzt beide, um diese schreckliche Zeit zu überstehen.
Lieber Gott, bitte, bitte lass es Elias gut gehen!
Es riecht nach Staub, Plastik und Kinderpisse in der Scheune. Im Schein seiner Taschenlampe schweben Staubpartikel, es ist wirklich verflucht staubig hier drin. Womöglich gibt es auch Mäuse. Hat er nicht mal gelesen, dass die gerne Gummi annagen? Wehe, die vergreifen sich an den Reifen seines Wagens!
Vorsichtig schließt Robert das hölzerne Tor hinter sich, geht um die Paletten mit Verpackungsmaterialien herum und schiebt ein paar Rollen Plastikfolie zur Seite, bis er das Versteck erreicht hat. Im rot-grauen Schlafsack sieht das Kind aus wie eine Riesenraupe, stumm und mit großen, erschrockenen Augen blickt es zu Robert hoch. Sein Gesicht ist fleckig und gerötet, aber immerhin hat es jetzt mit der Heulerei aufgehört. Sagen kann es nichts, der Knebel sitzt zu fest. Gut so. Dann nervt es auch nicht.
Robert holt Brot, Salami und Käse aus dem Kofferraum seines BMWs, der ein paar Meter weiter im Halbdunkel der Scheune glänzt, und bereitet das Abendessen zu. Das erste Käsebrot isst er selbst, das zweite spendiert er seinem unfreiwilligen Gast. Bevor er dem Kind den Knebel aus dem Mund nimmt, holt er sein Messer und hält ihm die Klinge vor das Gesicht. »Kein Laut, ist das klar?«
Stumm nickt der Junge. Sein Fuß blutet inzwischen nicht mehr, der Schnitt war nötig, um die falsche Spur zu legen. Nachdem er die blutdurchtränkte Socke aus dem Fenster geworfen hatte, ging es gleich weiter in die Gegenrichtung.
Robert hält ihm das Brot hin, sodass er trotz der gefesselten Hände abbeißen kann. Der Junge blickt ihn ängstlich an, nagt ein bisschen an dem Brot, schüttelt dann den Kopf. Zum Schluss noch ein paar Schluck Wasser und ein kurzer Gang aufs Töpfchen, auf das der Junge kaum noch draufpasst, aber ein größeres Modell gab es leider nicht. Dann zurück in den Schlafsack. Seinen eigenen hat er im BMW ausgebreitet, dort ist es wesentlich bequemer als hier und nicht so kühl.
»Sie haben mich angelogen, oder?«, sagt der Junge plötzlich. »Mama hatte keinen Unfall und ist nicht
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