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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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dreifache Last durch die Tür bugsierte.
     
    Abends war Lewis gerade mit
seinen Spiegeleiern und Fritten fertig geworden, hatte die letzte Scheibe
braunes Brot durch die restliche Würzsoße gezogen und den letzten Schluck kalte
Vollmilch getrunken, als er von oben ein «Papa? Paapa?» rufen hörte.
    Gleich darauf sah sich Lewis
mit dem ersten Satz einer Arbeit im Leistungskurs Französisch konfrontiert:
«Noch eine Flasche von diesem vorzüglichen Wein, Herr Ober!»
    «Ist doch ganz leicht.»
    «Ist auf
Französisch männlich oder weiblich?»
    «Wozu hab ich dir ein Lexikon
gekauft?»
    «Wenn ich’s doch in der Schule
gelassen hab...»
    «Na und?»
    «Mit anderen Worten: Du weißt
es nicht.»
    «Du bist schlauer, als ich
dachte, mein Sohn.»
    «Kannst du nicht raten?»
    «Also... es muss entweder
Maskulinum oder Femininum sein.»
    «Tolle Leistung!»
    «Sagen wir mal, die
ist weiblich. Dann heißt es... äh... Garçon! Une autre
bouteille de cette ...»
    «Du bist unmöglich, Papa! Wenn
du une autre bouteille sagst, heißt das eine andere Flasche
Wein.»
    «Ach so.»
    «Es heißt encore une
bouteille de und so weiter.»
    «Warum fragst du mich dann
erst?»
    «Vergiss es. Ich sag’s ja:
total unmöglich.»
    Lewis hatte nie Bleakhaus gelesen und wusste nichts von der beruhigenden Wirkung des Zählens bis
soundsoviel. Deshalb wühlten Wut und Enttäuschung in ihm, als er leise die
Treppe hinunterging, die Aktenboxen vom Dielentisch nahm, am Wohnzimmer vorbei,
wo Mrs. Lewis eine Seifenoper guckte, in die Küche ging und sich dort an den
Tisch setzte. Er wollte sich mit den so verschiedenartigen Mitgliedern der
Familie Harrison bekannt machen — Ehefrau, Ehemann, Tochter, Sohn —, die
tragende Rollen in dem Drama von Lower Swinstead gespielt hatten.
    Es fiel ihm nicht ganz leicht,
sich zu konzentrieren, da die grausamen Worte in seinem Kopf noch nachhallten.
Nach einer Weile aber war er zunehmend gefesselt von den traurigen Erfahrungen
jener fremden Leute: des Ehemannes Frank, der Tochter Sarah, des Sohns Simon
und der Mutter Yvonne, die im Dorf Lower Swinstead in den Cotswolds so brutal
ermordet worden war.
     
     
     
     

Kapitel
6
     
    Der
englische Landedelmann, der im Galopp einen Fuchs verfolgt — der Unsägliche auf
der Jagd nach dem Ungenießbaren.
    (Oscar
Wilde)
     
    Zuerst hatte er  gezögert,
sie so bald schon zu einem Gespräch zu bitten. Doch dann hatte er sich eines
Besseren besonnen. Lieber heute als morgen, hatte er sich gesagt und sie —
allerdings lange nicht so gebieterisch, wie Strange es vor drei Tagen mit Lewis
gemacht hatte — für halb fünf in sein Büro beordert.
    Sie war pünktlich, blieb ein
paar Sekunden stumm und regungslos vor der Tür stehen und klopfte dann leise.
Sie kam sich vor wie ein Schulmädchen vor der Tür der Direktorin.
    «Herein.»
    Sie betrat das Büro und setzte
sich ihm gegenüber an den Schreibtisch.
    Professor Turner hatte helle
Haut und höfliche Manieren. Er war Anfang sechzig und als Leiter des
Diabeteszentrums im Radcliffe Infirmary, Oxford, eine international hoch
angesehene Kapazität.
    «Sie wollten mich sprechen?»
    Zunächst aber wollte er ihr ein
wenig die Befangenheit nehmen.
    «Wir werden, so wie es
aussieht, in den nächsten Monaten, vielleicht sogar Jahren viel miteinander zu
tun haben. Ich schlage deshalb vor, dass Sie mich Robert nennen.»
    Sarah Harrison, eine schlanke
Frau Ende zwanzig mit braunem Haar und braunen Augen, spürte, wie sich ihre
Schultermuskeln leicht lockerten.
    Aber nicht lange.
    «Ich habe mir ein- oder zweimal
Ihre Gespräche mit Patienten angehört...»
    «Dreimal.»
    «...und habe den Eindruck
gewonnen, dass Sie Ihre Sache gut machen werden, dass Sie ihr gewachsen sind.
Sie wissen, was ich meine?»
    «Danke.»
    «Allerdings sind Sie noch nicht
gut genug.»
    «Ich dachte, es wäre schon
besser geworden.»
    «Gewiss. Nur sind Sie — nehmen
Sie’s mir nicht übel — immer noch erstaunlich naiv. Sie scheinen alles zu
glauben, was Ihre Patienten Ihnen erzählen.»
    «Woran soll man sich denn sonst
halten?»
    «Es gibt da einige bewährte
Hilfsmittel. Ein gewisses Maß an gesunder und notwendiger Skepsis. Und
natürlich Erfahrung. Beides werden Sie sich sehr bald selbst aneignen. Ich will
damit nur sagen, dass Sie so schnell wie möglich anfangen sollten, daran zu
arbeiten.»
    «Denken Sie an etwas
Bestimmtes?»
    «An all das, was die Patienten
Ihnen über ihre Blutzuckerwerte, sexuellen Aktivitäten, ihre

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