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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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er
soeben erfahren, etwas, was er noch nicht einmal andeutungsweise analysiert
hatte, machte ihn ein wenig ratlos.
     
    Der Sonntag war angenehm
sommerlich, und Morse beschloss — nicht anders als drei Viertel der Bevölkerung
von Oxfordshire einen Ausflug nach Bournemouth zu machen. Er brauchte eine
Stunde, um einen Parkplatz für den Jaguar zu finden, und weitere dreißig
Minuten, bis er am Strand war, wo Wagen- und Busladungen furchteinflößender
Familienverbände um zwei Quadratmeter Lebensraum feilschten. Je weiter er aber
die Eiscremesalons hinter sich ließ, desto weniger Tagesausflügler liefen ihm
über den Weg. Die wechselnden Stimmungen von Homers tief brausender See hatten
ihn schon immer fasziniert. Das war auch heute so.
    Bald stand er am träge
plätschernden Wasser, überlegte, ob die Flut gerade ablief oder hereinkam, und
sah auf das glasige Rund einer Qualle hinunter.
    «Tot?»
    Erst jetzt nahm Morse die junge
Frau mit dem kastanienroten Haar und dem knappen Bikini wahr, die direkt neben
ihm stand.
    «Ich weiß nicht. Aber weil ich
nichts Besseres zu tun habe, bin ich fest entschlossen, hier zu warten, bis die
Flut kommt, dann wird man ja sehen...»
    «Aber die Flut läuft doch
gerade erst ab!»
    Das Nicken des Chief Inspector
war voller Melancholie. «Sie mögen Recht haben.»
    «Arme Qualle.»
    «Hm.» Morse betrachtete erneut
das allem Anschein nach dem Tod geweihte durchsichtige Geschöpf zu seinen
Füßen. «Wie traurig, Qualle zu sein.»
    Nach seiner Art zu reden schien
er ein recht interessanter Mensch zu sein, und die junge Frau war versucht,
noch ein Weilchen bei ihm zu bleiben. Doch dann zwang sie sich, die stahlblauen
Augen zu vergessen, die sekundenlang die ihren festgehalten hatten, und ging
ohne ein weiteres Wort davon, denn ihr waren plötzlich Zweifel am Verstand des
Mannes gekommen, der so reglos dastand und auf den Boden starrte.

Kapitel 5
     
    Im
Lande der Blinden ist der Einäugige König.
    (Afghanisches
Sprichwort)
     
    Am Dienstag, dem 14. Juli,
einen Tag vor dem Besuch von Strange bei Morse, hatte Lewis sich nach
telefonischer Aufforderung über den Hausapparat pünktlich im Büro des Chief
Superintendent im Polizeipräsidium Thames Valley eingestellt.
    «Arbeit für Sie, Lewis.
Erinnern Sie sich noch an den Mord in Lower Swinstead?»
    «Ja, aber nur dunkel. Und
natürlich habe ich gelesen, was über die Anrufe in der Zeitung stand. Ich hatte
mit dem Fall nichts zu tun, wir waren gerade anderweitig...»
    «Jetzt haben Sie was mit dem
Fall zu tun. Ab Montag. Wenn Morse von den Bermudas zurück ist.»
    «Ich wusste gar nicht, dass er
verreist ist.»
    «Kleiner Scherz, Lewis.»
Strange lächelte jovial und bettete sein oberstes Kinn bequem in die beiden
anderen.
    «Und der Chief Inspector hat
zugestimmt?»
    «Was will er machen? Und dass
Sie gern mit dem alten Knaben arbeiten, weiß ich ja.»
    «Nicht immer.»
    «Na, er jedenfalls arbeitet
immer gern mit Ihnen.»
    Lewis, in dem sich ein
merkwürdiges Gefühl der Genugtuung regte, antwortete nicht.
    «Na?»
    «Ja, wenn Morse einverstanden
ist...»
    «Ist er.»
    «Ich ruf ihn am besten mal an.»
    «Das lassen Sie schön bleiben.
Er ist ziemlich kaputt und braucht Ruhe. Lassen Sie ihm Zeit, mal wieder zu
sich selbst zu finden. Lassen Sie ihn ein bisschen kreuzworträtseln, tüchtig
schlucken...»
    «Und vergessen Sie seinen
geliebten Wagner nicht. Er hat sich gerade noch eine Aufnahme von diesem
komischen Ring - Dingsbums gekauft, hat er mir erzählt.»
    «Welche?»
    «Mit einem Dirigenten, der
Scholtie heißt. Oder so ähnlich.»
    «Soso.» Strange deutete auf
drei überquellende grüne Aktenboxen, die neben ihm auf dem Schreibtisch
übereinander gestapelt waren. «Lektüre für Sie. Damit haben Sie die Chance, ein
paar Züge Vorsprung vor Morse zu kriegen.»
    Lewis stand auf, nahm die Boxen
und schleppte sie, die oberste mit dem Kinn festhaltend, unbeholfen zur Tür.
«Ich hab nie auch nur einen Zug Vorsprung vor Morse gehabt.»
    «Sie dürfen sich nicht
unterschätzen, Lewis. Das können Sie getrost anderen überlassen.»
    Lewis brachte ein gutmütiges
Lächeln zustande. «Es gibt nicht viele, die bei Morse einen Zug Vorsprung
zustande bringen.»
    «Nein? Moment, ich halte Ihnen
die Tür auf... Ein, zwei Leute gibt es schon, die das gelegentlich schaffen.»
    «Mag sein. Ich hab nur noch
niemanden getroffen.»
    «Wenn Sie sich da mal nicht
irren», sagte Strange leise.
    Lewis verdrehte viel sagend die
Augen, während er seine

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