Und kurz ist unser Leben
spekulieren.
Irgendwann rief Simon in panischer Angst seinen Vater an. Es gab nur wenige
Menschen, an die er sich in einer Notlage hätte wenden können. Einer war sein
Vater, der im Übrigen eine spezielle Schaltung am Telefon hatte. Frank H. kam
so schnell wie möglich. Sein BMW war tatsächlich in der Werkstatt, das wurde
geprüft, und ich glaube jetzt (besser spät als nie!), dass die Abfolge genau so
war, wie er sie beschrieben hat: Taxi nach Paddington, Zug bis Oxford, Taxi
(Auftritt Flynn!) von Oxford nach Lower Swinstead.
Und
dann? Möglicherweise werden wir das nie erfahren. Fünf Menschen aber, von denen
drei inzwischen tot sind, wussten Bescheid: der in medio coitu gestörte
Barron; der kleine Gauner Flynn, der zufällig bei der Hand war; der Einbrecher
Repp, der das Grundstück schon den ganzen Abend beobachtete; Frank H.; Simon H.
Ein Mensch wie Simon dürfte es an so einem Schreckensort nicht lange allein
ausgehalten haben, und ich denke mir, dass sein Vater Sarah anrief und sie bat,
sich schnellstens nach Lower Swinstead zu begeben und unterwegs noch eine
Kinokarte als Alibi für Simon zu kaufen. Als ich Sarah kennen lernte, hatte ich
gleich das Gefühl, dass sie vermutlich weiß, wer ihre Mutter umgebracht hat.
Das Dumme war, dass dies auch die drei Außenstehenden wussten, Repp und Barron,
die beide aus dem gleichen Ort waren, sowie Flynn, der Simon in den
Lippenlesekursen kennen gelernt hatte und ihn in jener Nacht im Haus gesehen
haben muss.
Wie
sah also der Schlachtplan der Familie aus?
Die
zwei (oder drei) beschlossen — es war ihre einzige Hoffnung —, ein Höchstmaß an
Konfusion zu erzeugen. Verbergen ließ sich der Mord nicht, aber zumindest
konnte man die Fakten so geschickt arrangieren, dass sich die Ermittlungen
darin hoffnungslos verheddern mussten. Wir können davon ausgehen (vielleicht
aber auch nicht), dass Yvonne ein Knebel in den Mund gesteckt wurde (wenn ich
mich recht erinnere, heißt es in dem Bericht: «nicht sehr fest, als hätte sie
ihn in ihrer Verzweiflung gelockert»); dass man ihr Handschellen anlegte; dass
eine Scheibe der Terrassentür von außen eingeschlagen wurde. Warum Yvonnes
ordentlich zusammengelegte Sachen nicht auf dem Boden verstreut wurden, weiß
ich nicht, denn «versuchte Vergewaltigung» wäre eine durchaus glaubhafte
Erklärung für den Mord gewesen.
Wann
und wie die kreisenden Geier niederstießen, um sich einen Anteil an der Beute
zu sichern, kann man nur raten. Es muss relativ früh einen Kontakt mit Barron
gegeben haben, um das Telefon-Alibi festzuklopfen.
Flynn,
der gerade eine Pechsträhne hatte, ist vermutlich gleich da geblieben und hat
seinen Preis genannt. Repp, ein echter Profi, dürfte noch ein, zwei Tage
gewartet haben, bis er drohte, sein Wissen preiszugeben, falls Harrison nicht
bereit war, ihn angemessen zu entschädigen.
Kurzum
— es wurden finanzielle Zusagen gemacht und, soweit wir wissen, auch
eingehalten. Zweifellos erlebte Frank Harrisons Vermögen nach dem Mord an
seiner Frau einen kräftigen Aderlass. Dass er Gelder der Swiss-Helvetia Bank
veruntreut haben soll, wundert mich allerdings trotz alledem.
Somit
sind nur ein oder zwei (oder drei!) Punkte ungelöst. 1. Die Alarmanlage. Auf
der Fahrt von London nach Oxford muss Frank H. vielerlei durch den Kopf
gegangen sein. Mehrmals hat er vermutlich vom Zug aus in seinem Haus angerufen,
und Sarah dürfte die Anrufe entgegengenommen haben. Als er dann im Taxi saß,
hatte Frank offenbar eine gute Idee: Er sagte Sarah, dass er sich noch einmal
melden würde, wenn er eine Minute von zu Hause entfernt sei, und bat sie dann,
die Alarmanlage anzustellen. Und seien wir ehrlich: Die Idee war wirklich gut!
Verständlicherweise hat sie bei den polizeilichen Ermittlungen damals
erhebliche Verwirrung gestiftet. Strange behielt als Einziger den Durchblick.
Er hat von Anfang an gesagt, die Alarmanlage könne durchaus vom Mörder selbst
ausgelöst worden sein. (Dass Sie mir den Mann nie unterschätzen, Lewis!)
Es war 3 Uhr 40, Morse hatte
demnach fast eine Stunde geschrieben, war angenehm müde und wusste, dass er
jetzt mühelos würde einschlafen können. Aber er wollte (wie Flecker gesagt
hatte) «immer noch dieses kleine Stückchen weiter» und sich, was wichtiger war,
noch einen Scotch genehmigen. Nachdem das geschehen war, schrieb er weiter:
Noch
einen Gesichtspunkt gibt es, der von entscheidender Bedeutung und (fast) das
Einzige ist, womit ich Ihnen gegenüber ein wenig hinter
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