Und kurz ist unser Leben
dem Berg gehalten habe:
die erstaunliche Beziehung zwischen einem alkohol- und drogenabhängigen jungen
Flegel und einer mausgrauen kleinen Lehrerin, nämlich zwischen Roy Holmes und
Christine Coverley. Irgendetwas, was — vermutlich in der Schule — geschehen
war, hatte dazu geführt, dass eine enge und auch sexuelle Beziehung zwischen
den beiden entstanden war, die Ms. Coverley auch zugegeben hat und die sie
veranlasste, nach Ende des Sommertrimesters nicht aus Burford wegzuziehen. Und
warum ist das von Bedeutung? Weil wir bei unseren Ermittlungen von einer
grundlegenden Voraussetzung ausgegangen sind, die bisher von keinem einzigen
unabhängigen Zeugen bestätigt wurde. Doch die Wahrheit will ans Licht. Und
deshalb werden wir umgehend Ms. Coverley zu einer eingehenden Vernehmung ins
Präsidium bitten.Wie gut, dass wir nichts übereilt haben und die Konfrontation
mit Frank
Harrison (Hier bricht der Text
ab.)
Morse, den Kopf auf den
gekreuzten Armen, war an seinem Schreibtisch fest eingeschlafen, erwachte um
halb acht mit einem Ruck und fühlte sich wunderbar frisch.
Das Leben konnte manchmal ganz
schön verrückt sein.
Kapitel
67
Vor
Problemen davonzulaufen ist eine Form der Feigheit, und obgleich es stimmt,
dass der Selbstmörder dem Tod die Stirn bietet, tut er das nicht aus edlen
Beweggründen, sondern um einem Übel zu entgehen.
(Aristoteles, Numachische Ethik)
Am nächsten Morgen war Lewis
mit sich zufrieden. Ehe Morse im Büro erschien, hatte er sich die Denksportecke
der Police Gazette vorgenommen und die dort abgedruckte Rätselfrage auf
Anhieb gelöst:
Was wäre der erste Gedanke
eines intelligenten Radfahrers bei der Lektüre der folgenden Aufstellung von
Verdi-Opern: Tosca — Aida — Nabucco — Don Carlos — Emani — Macbeth
Der «erste» Gedanke — das war
der Schlüssel. Wenn man den hatte, sprang einem die Lösung — von oben nach
unten gelesen — förmlich ins Auge.
Zehn nach neun erschien Morse.
Er sah, wie Lewis fand, etwas besser aus als in den letzten Tagen.
«Ein bisschen Gehirnakrobatik
gefällig, Sir?»
«Nein, besten Dank.»
Lewis schob ihm das Rätsel über
den Tisch, aber Morse streifte es nur mit einem flüchtigen Blick.
«Haben Sie die Lösung?»
«Kinderleicht. Der erste
Gedanke — das ist der Witz. Die Anfangsbuchstaben! Radfahrer! Alles klar?
«So wie ich es verstehe, wird
danach gefragt, woran ein intelligenter Radfahrer denkt.»
«Da komme ich nicht ganz mit.»
«Na, hören Sie, Lewis! Sie
haben die falsche Lösung. Jeder intelligente Radler, jeder aufgeweckte
Busfahrer würde sofort auf denselben Gedanken kommen.»
«Ach ja?»
«Die Frage ist falsch,
weil sie von falschen Voraussetzungen ausgeht. Von der Annahme nämlich, dass
die vorgegebenen Fakten stimmen.»
«Und die stimmen nicht?»
«Tosca? Von Verdi?»
Oje. «Das haben Sie aber
schnell rausgekriegt.»
Morse feixte. «Nicht weiter
schwierig. Die Gazette kriegt öfter mal so eine harte Nuss von mir
geliefert...»
«Wollen Sie damit sagen...»
Morse nickte. «Und da wir
gerade bei falschen Voraussetzungen sind — die haben auch uns schwer zu
schaffen gemacht. Wir haben beide unheimlich viele Dinge überprüft. Aber eins
haben wir bislang bereitwillig und ohne die Spur eines Beweises akzeptiert, und
deshalb müssen wir uns schnellstens noch einmal damit beschäftigen. Wir
brauchen zwei Wagen. Ich rufe mal eben Dixon an»
Lewis stand auf. «Ich kann
alles veranlassen, Sir.»
«Setzen Sie sich, Lewis. Ich
muss mit Ihnen reden.»
Durch die Glasscheibe sah Dixon
den Umriss der Frau im Rollstuhl, die sich auf ihn zubewegte. Nein, sie wisse
nichts über den Verbleib ihres Sohnes. Nein, er sei gestern Abend nicht nach
Hause gekommen. Ja, er habe einen Schlüssel. Ja, er sei manchmal die ganze
Nacht weg. Wo? Keine Ahnung. Falls es die Herren von der Polizei interessierte,
es sei ihr auch egal. Scheißegal.
Auf Kershaws gebieterisches
Klingeln und Klopfen hin rührte sich nichts. Endlich fand er die leicht
vergrätzte ältere Dame, die sich um die zwei vermieteten Einzimmerwohnungen
kümmerte und ihn in die Wohnung im Erdgeschoss begleitete. Sie hatte offenbar
für ihre Mieterinnen nicht viel übrig, aber nachdem sie aufgeschlossen hatte,
war zumindest eine von ihnen ihres entsetzten Mitgefühls sicher. Christine
Coverley lag auf einem Schaffellvorleger vor einem kalten Elektrokamin. Sie
trug ein ärmelloses lachsrosa Sommer 1 kleid, ihre Arme wirkten sehr
weiß,
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