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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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heute
Vormittag die absolut ungewöhnliche Hypothese bezüglich des Mordes an J.
Barron, Maurer- und Malerarbeiten, aufstellen können? Die (allem Anschein nach
bewiesene) Hypothese, dass Roy Holmes, der fast alles getan hätte, um an Drogen
heranzukommen, und absolut alles zu tun bereit war, wenn er unter Drogen stand,
eine sexuelle Beziehung zu Christine Coverley unterhielt; die (allem Anschein
nach bewiesene) Hypothese, dass diese geradezu grotesk widersinnige
Partnerschaft dank eines Vorfalls oder einer ganzen Reihe von Vorfällen in der
Schule entstanden war; dass der Junge sich gegen Geld bereit erklärt hatte, bei
der Polizei auszusagen, er sei versehentlich an eine hohe Leiter gestoßen (eine
von vorn bis hinten erlogene Behauptung, da Roy Holmes an jenem Morgen die
Sheep Street nicht mal von weitem gesehen hatte); die (noch zu beweisende)
Hypothese, dass Frank Harrison Barron ermordet und mit einem genialen Plan
versucht hatte, den Verdacht von sich und Simon wegzulenken; einem Plan, der
wahrscheinlich auf einen anderen Sohn, nämlich Allen Thomas, zurückging, der
auf seinem Horchposten im Maiden’s Arms regelmäßig Informationen
sammelte und an seinen Vater weiterleitete, den Mann, der alle Fäden in der
Hand hielt.
    Lewis nickte vor sich hin. Kein
Wunder, dass Frank Harrison untergetaucht war. Aber das würde ihm nichts
helfen. Er konnte nirgendwohin, sich nirgends verstecken — den Flug- und
Seehäfen lag seine Passnummer vor, die Fotos waren unterwegs. Falls es nicht zu
spät war.
    Morse hatte vorgeschlagen, dass
sie die Vernehmung von Roy Holmes und Christine Coverley gemeinsam führen
sollten, und Lewis gebeten, weitgehend das Gespräch mit dem jungen Mann zu
übernehmen. «Mir ist der Bursche widerwärtig, Lewis, und Sie verstehen sich auf
diese Dinge besser als ich.» So schmeichelhaft das war — bei Lewis verfingen
derlei Bemerkungen nicht mehr. Wenn Morse glaubte, er könne sich so leicht bei
seinem Sergeant wieder ein gewisses Maß an Ansehen verschaffen, hatte er sich
schwer geirrt.
     
    Am späten Vormittag verließ
Lewis das Büro, ohne Morse zu fragen, ob er gern einen Kaffee hätte — ein
Versäumnis, das Morse bestimmt nicht entgehen und das ihn bestimmt kränken
würde.
    Doch er hatte sich verrechnet.
    Als Lewis zehn Minuten später
zurückkam, hatte sich Morse zufrieden lächelnd in seinem Sessel zurückgelehnt.
    «Holen Sie mir einen Kaffee,
seien Sie so nett, Lewis. Ohne Zucker... wir armen Diabetiker... Es gibt etwas
zu feiern.» Vor ihm lag die Times, zu einem Viertel ihrer Größe
gefaltet; das Kreuzgitter war vollständig ausgefüllt. «Sechseinhalb Minuten.
Schneller habe ich es noch nie geschafft.»
    Das Telefon läutete.
    Dixon.
    Roy Holmes war unauffindbar. Er
war weder zu Hause noch sonst wo. Sollte er weitersuchen?
    «Was fragen Sie so dumm?»,
schnauzte Morse. «Es gibt da ein altes Sprichwort: Wenn’s beim ersten Mal
schief geht, lass die Finger vom Drachenfliegen.»
    Es war eine Antwort nach Lewis’
Herzen, und sekundenlang — aber wirklich nur sekundenlang —, fragte er sich, ob
er Morse nicht zu hart beurteilte.
    «Nicht der Einzige, der unauffindbar
ist, Sir.»
    «Meinen Sie Frank Harrison? Ja,
der gibt mir auch Rätsel auf. Er mag ein Gauner sein — er ist ein Gauner —,
aber er ist kein Dummkopf, sondern ein erfahrener, hartgesottener,
zielstrebiger, reicher Banker, und so einer langt nicht plötzlich in die
Portokasse, um...»
    Das Telefon läutete.
    Kershaw.
    Morse hörte schweigend zu, und
als er dann über den Schreibtisch hinweg Lewis ansah, wirkte er nicht besonders
überrascht, aber sehr enttäuscht und traurig. Etwa so wie Lewis vor zwei
Stunden.
    Nachmittags (Morse war nicht
mehr im Präsidium) läutete das Telefon.
    Swiss-Helvetia Bank.
    «Könnten wir bitte
Superintendent Lewis sprechen?»
    «Sergeant Lewis am Apparat.»
     
     
     
     

Kapitel
69
     
    Zweiter
Gerichtsdiener: Antonio, ich verhafte Euch auf Befehl des Herzogs Orsino.
    Antonio:
Ihr irrt Euch, Herr, in mir.
    Zweiter
Gerichtsdiener: Nicht doch, Herr.
    (Shakespeare, Was Ihr wollt)
     
    Um 17 Uhr 20 stand er noch
immer neben seinem kleinen Handgepäck wenige Meter vom Check-in der Euro-Class
in Heathrow, Terminal 4, entfernt und sah sich mit beherrschter, aber
allmählich wachsender Ungeduld um. Sie hatten sich für 17 Uhr 10 verabredet, um
sich nach dem Einchecken noch genüsslich in der British Airways Lounge entspannen
zu können, ehe Flug 338 aufgerufen wurde, der um 18 Uhr 30

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