Und kurz ist unser Leben
nach elf machte er
das Licht im Schlafzimmer aus und drehte sich, wie immer, auf die rechte Seite,
mit klarem Kopf, heiterer Seele und angenehm schläfrig.
Wunderbar.
Obgleich er gelegentlich mit
einem Schicksal haderte, das ihn in diese Welt geschickt hatte, wäre es falsch
zu behaupten, dass Morse sich nach jener letzten Reise in ein fernes Land
drängte. Wie die meisten Sterblichen hatte er etwas von einem Hypochonder, und
in dieser Nacht machte er sich zunehmend Sorgen um sein körperliches
Wohlbefinden oder vielmehr dessen Gegenteil.
Die Leuchtziffern des Weckers
standen auf 2 Uhr 42, als er schließlich den ungleichen Kampf aufgab. In seinem
Kopf drehte sich ein wildgewordenes Karussell vom St. Giles-Jahrmarkt, und der
brennende Schmerz, der ihm vom Magen her durch die Brust bis in die Arme zog,
war heftig und gnadenlos. Er stand auf, mixte sich ein Glas Alka-Seltzer,
schenkte sich einen Scotch ein, griff nach seinem Parker-Kugelschreiber mit der
mittelblauen Mine und setzte die Exegese fort, in der ihn Lewis unterbrochen
hatte, wobei er aber den letzten (unvollständigen) Satz ausstrich: «Es war
peinlich für mich, mit Ihnen darüber zu sprechen, und ich weiß, dass es auch
Ihnen peinlich war...»
Um diesen Aspekt des Falles
richtig zu stellen, blieb noch reichlich Zeit.
Morgen und übermorgen und den
Tag danach...
Kapitel
65
Eifersucht
ist jener Schmerz, den ein Mensch empfindet, wenn er Angst hat, von demjenigen
Menschen, dem sein ganzes Herz gehört, nicht ebenso wiedergeliebt zu werden.
(Addison, The Spectator)
Simon
H. ist kein guter Lügner, und ich habe ihm ein Stück Wahrheit entlocken können.
Seine starke Schwerhörigkeit ist echt, und Telefongespräche müssen ein Albtraum
für ihn sein. Wozu also hat er ein Handy, mit dem sogar mit gutem Gehör begabte
Menschen häufig ihre Probleme haben? Allerdings kann sich selbst jemand, der
stocktaub ist, bis zu einem gewissen Grad mit jemandem am anderen Ende
verständigen, weil er, auch wenn er den anderen nicht hört, zumindest mit ihm
sprechen kann.
Es
muss viele Menschen gegeben haben, die Barron den Tod wünschten, aber keiner
leidenschaftlicher als Frank Harrison, der erfahren hatte, dass Barron in Kürze
in großer Höhe in einer stillen Burforder Straße arbeiten würde. Von dem Job
war vermutlich im Maiden’s Arms gesprochen worden, und einer der Gäste
dort stand regelmäßig in Kontakt mit Frank H., nämlich jener junge Mann, der in
Kürze heiraten würde und ebenso regelmäßig sein Geld am Spielautomaten
verspielte. Wie so viele andere der in diesen Fall Verwickelten ist er von
Frank H. abhängig, der sein Vater ist, ihm angeblich gerade eine kleine Wohnung
in Bicester gekauft hat und ihn höchstwahrscheinlich seit vielen Jahren
finanziell unterstützt. Der Plan war relativ einfach und hatte nur einen Haken.
Sowohl Harrison senior als auch Harrison junior waren durch Barrons Arbeit an
ihrem Haus mit seiner Leitertechnik vertraut, insbesondere mit seiner
Gewohnheit, das obere Ende der Leiter an irgendeinem stabilen Gegenstand in
luftiger Höhe zu befestigen. Dass er es diesmal genauso machen würde, lag nahe,
und ein kräftiger Stoß gegen die Leiter war sinnlos, wenn man sie dadurch nicht
zum Kippen bringen konnte. Man entschloss sich deshalb zu einer kleinen
Erkundung. An jenem Montagvormittag holte Simon seinen Vater in Oxford ab und
fuhr ihn die zwanzig Meilen nach Burford. Er ließ den Wagen am westlichen Ende
der Sheep Street stehen, joggte in Trainingsanzug und Laufschuhen auf der
anderen Straßenseite auf und ab und stellte fest, dass Barron die Leiter alle
zwölf Minuten ein Stück weiterrückte und danach vermutlich neu anband. Barron
war deshalb nur zu erwischen, wenn er wieder die Leiter hinaufgestiegen und
gerade dabei war, sie mit dem Seil neu zu sichern — in einer Zeitspanne von
nicht mehr als einer Minute also. Das musste genügen. Simons Aufgabe war es,
seinem Vater per Handy zu melden: «Jetzt!» Er selber, sagt er, habe nicht genug
Mumm für die Tat gehabt, und das nehme ich ihm ab. Sein Vater, ebenfalls im
Trainingsanzug, sollte über den Fußweg kommend Barron in den Tod stoßen, der
aus Simons Sicht durchaus verdient und längst überfällig war.
So
etwa war es geplant. So denke ich es mir.
Doch
aus dem Countdown wurde nichts, denn Simon sah plötzlich ein Fahrrad, dessen
Vorderrad immer wieder vom Boden hochgerissen wurde, über den Gehsteig
schlingern, unter der Leiter durch und in die Leiter
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