Und kurz ist unser Leben
hineinfahren. Womit sich
Harrisons schöner Plan erledigt hatte — so zumindest sollte es sich für uns
darstellen. Weshalb dieser Vorbehalt? Weil es mich wundern würde, wenn ein von
dem Opportunisten Frank Harrison ersonnener Plan je gescheitert wäre. War also
Barrons Unfalltod am Ende doch kein Unfall? Frank Harrison hatte bereits etwas
sehr viel Komplizierteres geschafft. Er hatte die Beweise im Mordfall Yvonne
Harrison so manipuliert, dass sie den für ihn so wichtigen Eindruck erweckten,
außer ihm sei, als er in jener Nacht sein Haus betrat, weit und breit keine
Menschenseele zu sehen gewesen. Nur gab es da noch drei Herren, die wussten,
dass das nicht stimmte, und alle drei wurden — wie auch immer die Verständigung
zwischen ihnen zustande kam — später für ihre Rolle in der Verschwörung, für
ihre Komplizenschaft und ihr Schweigen entlohnt.
Zurück
zu meinem Vorbehalt.
Kann
es sein, dass Frank Harrison sein Netz noch weiter auswarf und darin den
Radfahrer an Land zog, der Barron in den Tod stürzen ließ, nämlich Roy Holmes,
den Bruder von Harrisons Sohn Allen?
Wir
kommen jetzt zum eigentlichen Harrison-Clan. Unsere Ermittler haben uns einige
Hinweise auf die Beziehungen innerhalb dieser Familie gegeben. In der Ehe
selbst konnte von Liebe schon lange nicht mehr die Rede sein. Er verbrauchte in
seiner Wohnung in der Londoner Pavilion Road eine Gespielin nach der anderen,
sie verbrauchte einen normalen oder auch abartigen, immer aber hochbeglückten
Bettgenossen nach dem anderen — eine lustvolle und wohl auch Gewinn bringende
Freizeitbeschäftigung. Simon, ein Junge, der tapfer gegen seine Behinderung
ankämpfte, war zweifellos der Liebling der Mutter. Sie war ihm weit enger
verbunden als der Tochter Sarah, die bildhübsch anzusehen, hoch begabt und sehr
musikalisch war, von Jugend auf alle Chancen gehabt hatte und sehr viel weniger
mütterliche Zuwendung brauchte. Beide Kinder wussten wohl um die
Unausgewogenheit und akzeptierten sie stillschweigend und taktvoll.
Schon
mehrere Jahre vor dem Mord an ihrer Mutter hatten die Kinder das Elternhaus
verlassen. Sarah war Ärztin geworden und hatte sich mit großem Erfolg auf die
Behandlung zuckerkranker Patienten spezialisiert, und Simon hatte eine
überraschend gute Stellung in einem Verlag gefunden. Finanziell war er jetzt
unabhängig, nicht aber emotional, denn er sehnte sich immer noch nach jener
einzigartigen Liebe, die seine Mutter ihm stets entgegengebracht und die ihm
geholfen hatte, die schwierige Schulzeit zu ertragen. Er sehnte sich nach jener
beglückenden Gewissheit, dass er, Simon, von seiner Mutter geliebt wurde, wie
nicht einmal sein Vater je von ihr geliebt worden war. Natürlich besuchte er
sie regelmäßig, aber sie hatte sich ausbedungen, dass er immer vorher anrief.
Muss man fragen warum? Von den abendlichen Zerstreuungen seiner Mutter wusste
Simon nichts. Im Gegensatz zu Frank, dem sie willkommener Vorwand und
Rechtfertigung für seine eigenen Affären waren. Im Grunde berührten sie ihn
aber wohl sowieso nicht sehr, vielleicht gehört er zu den Menschen, die solche
Dinge leicht wegstecken. Simon war das nicht gegeben. Eines Abends tauchte er
unangemeldet bei der Mutter auf und fand sie auf ebenjenem Bett, auf dem er
sich als kleiner (und vielleicht nicht mehr ganz so kleiner) Junge an sie
gekuschelt hatte, wenn sein Vater verreist war. Und über seiner Mutter kauerte
ein Mann!
Nehmen
Sie das nicht zu wörtlich, Lewis! Wahrscheinlicher ist, dass Simon Harrison auf
der Treppe einem Mann begegnete, der sich hastig die Hosen hochzog und an
seinem Reißverschluss nestelte. Und den er kannte: Barron! Und dass er dann
seine Mutter im Schlafzimmer liegen sah: nackt, höchstwahrscheinlich
(vielleicht aber auch nicht) geknebelt und gefesselt, während noch ein
Porno-Video über den Bildschirm flimmerte. Dass er in seiner Fassungslosigkeit
und maßlosen Enttäuschung, rasend vor Eifersucht, kaum wusste, was er tat, und
— seine Mutter umbrachte.
Kapitel 66
Es
ist durchaus möglich, dass wir jetzt durch eine dunkle Türöffnung treten, die
auf der anderen Seite keinen Boden hat, und auf den Bauch fallen.
(Mitglied
des Stadtrats von Honolulu, zitiert vom Pressecorps)
Als Morse merkte, dass ihm die
Worte immer müheloser aus der Feder flossen, schenkte er sich noch einen Scotch
ein und setzte seine Ausführungen fort.
Über
die unmittelbar darauf folgenden Ereignisse können wir nur
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