Und meine Seele ließ ich zurueck
schreiben. Er sucht nach zärtlichen Worten und die Worte entziehen sich ihm.
(Es gibt keine Worte mehr für Gott. Es gibt keine Worte mehr für die Meinen.)
Er öffnet das Fenster und raucht, während er zum Mond schaut, eine Zigarette. Er hofft, dass Tahar friedlich schläft. Tatsächlich zweifelt er nicht eine Sekunde daran und denkt an seinen Gefangenen mit einem leichten Gefühl neidischen Grolls. Er kehrt zu seinem Schreibtisch zurück und ohne dass er sich noch setzt, schreibt er: »Meine teure Liebe, meine wunderbaren Kinder, es ist leider undenkbar, dass ich eine Erlaubnis für Claudies Geburtstag erhalten könnte. Hier nichts Erwähnenswertes. Alles läuft bestens. Ich liebe Euch zärtlich.« Er schreibt rasch Jeanne-Maries Adresse auf einen Umschlag, den er auf den Stapel der Postsendungen wirft. In seinem Zimmer macht er sich nicht einmal die Mühe, sich für sein Abendgebet niederzuknien. Auf seinem Bett sitzend, schlägt er die Bibel auf. Er liest: »Was hast du getan? Die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir von der Erde.« Er blättert noch ein wenig in ihr, bevor er sie zuschlägt. Er schickt sich an, sich zwischen Schlaflosigkeit und Träumen, die er nicht haben möchte, treiben zu lassen.
Wie hätte ich Sie vergessen sollen, mon Capitaine, ich, der ich Sie so sehr liebte, ich, der ich Sie noch mehr liebte als ich Sie heute verachte, und ich verachte Sie ja doch bis hin zu dem Punkt, dass ich Ihnen ohne Scham zugestehen kann, wie sehr ich Sie liebte. Oh, ich liebte Sie wie einen Bruder, einen vor Jugend und Heldenkraft nur so strahlenden Bruder, und ich erinnere mich sehr genau an Ihre auf meine Schulter gelegte Hand, in diesem einen Monat Mai 1954, als wir allesamt in einer langen, gespenstischen Kohorte vor den Augen unserer Eroberer vorbeizogen. Das war das Ende der Welt, mon Capitaine, wir waren nichts weiter als bemitleidenswerte Relikte eines zerstörten Reiches, aber Ihre Hand auf meiner Schulter bewahrte mich vor der Verzweiflung, im Kampf nicht gestorben zu sein, und ich war glücklich, ich erinnere mich sehr genau, glücklich, noch am Leben zu sein und neben einem Mann einhergehen zu dürfen wie Ihnen, der sich weigerte, die Augen niederzuschlagen wie all unsere Kameraden, als wir vor der Kamera entlanggingen, die russische Kameramänner auf uns ausgerichtet hatten, damit die ganze Welt Zeuge unserer Erniedrigung sein und über unsere einstige Arroganz lachen könne. Denn von unserer Arroganz war nichts mehr geblieben, mon Capitaine, wo wir uns doch hinkend vorwärtsbewegten in unseren Schmutzpanzern und das obszöne Auge der Kamera unsere Verwundungen noch schmerzhafter werden ließ und die blutverschmierten Lumpen noch abscheuerregender, die unsere Kampfkleidung einst waren, nichts war geblieben von unserem Mut, nichts von uns war geblieben und, wahrhaftig, die Augen zu senken, das war das Einzige, was uns zu tun noch möglich war, aber Sie, mon Capitaine, sobald wir ins Blickfeld der Kamera gekommen waren, haben Sie den Kopf erhoben und das Objektiv fixiert und Sie haben mir die Hand auf meine Schulter gelegt und zu mir gesagt Heben Sie den Kopf, Horace, schauen Sie sich diese Schweine genau an, schauen Sie ihnen gradewegs ins Gesicht, es gibt keinen Grund, warum Sie erröten sollten, und ich hatte mich plötzlich derart stolz gefühlt, mon Capitaine, so stolz, an Ihrer Seite zu sein, dass mir eine unnachvollziehbare Lebensfreude beinahe den Atem genommen hätte. Ich liebte Sie, mon Capitaine, und Sie erschienen mir bewundernswerter, als ich es mir erhofft hatte, damals, als ich Ihren Schwager Jean-Baptiste Antonetti noch über Sie habe sprechen hören, am Vorabend meines Fallschirmabwurfes, in dieser Bar in Hanoi, die meine Landsmänner aufsuchten, um ihren Groll und ihr Heimweh miteinander zu teilen, diese Bar, in der ich so ausgedehnte Wochen des Wartens mit Trinken von schlechtem Alkohol verbracht hatte, der meine Träume von Schlachten und Blut tränkte, meine Todesträume, mon Capitaine, während Jean-Baptiste mir von Ihnen erzählte, zwischen zwei abgestumpften Beschwörungen der undankbaren Erde unserer Kindheit, die es uns nicht gelang zu hassen, und er sprach mir von Ihrer Kraft und Ihrem Mut, er dankte dem Himmel, dass dieser seine Schwester einen Mann wie Sie hat treffen lassen, als ob sich seine ganze Familie allein durch Ihre Präsenz mit einem Mal geadelt gesehen hätte, als ob aufgrund der mysteriösen Gnade Ihrer Anverwandtschaft er selbst für immer seine
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