Und meine Seele ließ ich zurueck
Degorce antwortet nicht.
(Wir sind Menschen. Das ist der Fehler, nicht die Entschuldigung. Der Fehler.)
– Es ist nicht grade einfach hier, verteidigt Moreau seine Sache weiter. Wir sind hier am Arsch der Welt.
– Meiner Kenntnis nach, sagt Capitaine Degorce, um Ihre elegante Metapher aufzugreifen, kennt die Welt viele Ärsche.
Moreau lächelt schwach.
– Nun, mon Capitaine?, fragt er ihn. Er hat von Ihnen bereits eins in die Fresse bekommen. Könnte das nicht reichen? Bitte.
Capitaine Degorce weiß, dass er nichts mehr riskiert, wenn er sich hochherzig zeigt. Febvay ist ihm egal. Wenn er ihn von sich weist, wird man ihm einen anderen Febvay zuspielen. Was sie voneinander mehr schlecht als recht unterschied, haben die Menschen verloren. Sie gleichen einander alle.
– Sehr gut, Moreau. Sagen Sie Febvay, dass die Sache geregelt ist. Und sagen Sie ihm auch, dass er es vermeiden soll, mir in den nächsten Tagen auf den Fluren zu begegnen, und zwar so lange, bis ich mich völlig beruhigt habe.
Adjudant-Chef Moreau legt ihm voller Dankbarkeit die Hand auf den Arm.
– Danke, mon Capitaine. Danke.
Capitaine Degorce fragt sich einen Moment lang, warum Moreau wohl so sehr daran gelegen sein mag, Febvay bei sich zu behalten, im Namen welch gemeinsamer Vergangenheit, welch blinder Leidenschaft, welch väterlichen Schutzgefühls. Er könnte versuchen, es herauszufinden, er könnte eine herzensoffene Unterhaltung mit Moreau führen, die zähflüssige Gesteinsmasse zerschlagen, die ihn erstickt, sobald er Worte ausspricht, die ihm wirklich eigen wären, stattdessen jedoch fühlt er sich erneut von dem Wunsch gepackt, sich woanders aufzuhalten, nämlich dort, inzwischen ist es ihm klar, wo er seit seinem Erwachen längst hätte sein sollen.
– Sagen wir, dass ich das für Sie mache, Moreau.
– Danke, mon Capitaine.
Capitaine Degorce geht aus dem Zimmer und sagt: Ich werde Hadj Nacer aufsuchen. Er macht ein paar Schritte, kehrt sich dann zum Adjudant-Chef um.
– Benötigen Sie mich heute Morgen?
– Ich habe Informationen nachzuspüren, mon Capitaine. Einen Typen einzusammeln. Aber ich kann mich sehr gut allein darum kümmern.
*
Er ist regungslos auf seinem Strohbett, wie in den Träumen des Capitaine, aber dabei so ruhig, dass man ihn im kühlen Schatten eines Palmengartens sitzen wähnen könnte, irgendwo in Timimoun oder Taghit, wo er über eine schmutzige Mauer hinweg die Dünen sich schlängeln sieht unter Berührung eines lauen Windes und dabei vollkommen vereinnahmt ist von sanften und mysteriösen Dingen, die nur ihm vorbehalten sind.
– Guten Tag, sagt Capitaine Degorce und kann sich noch im letzten Augenblick davor zurückhalten, hinzuzufügen: »Haben Sie gut geschlafen?«
Tahar grüßt ihn mit einem Kopfnicken.
– Ich habe keine Neuigkeiten, die Sie betreffen würden. Ich werde aber sicherlich noch heute Vormittag welche erhalten.
– Das ist nicht weiter schlimm, antwortet Tahar.
Der Capitaine bleibt einen Augenblick lang stehen, bevor er sich seinem Gefangenen gegenüber auf den Boden setzt. Er fühlt sich verpflichtet, seine Anwesenheit zu erklären, er sucht nach irgendeinem Vorwand, findet aber nichts anderes zu sagen als die Wahrheit, und die Einfachheit der Wahrheit erfüllt ihn mit einem unermesslichen Wohlgefühl.
– Wenn Sie nichts dagegen haben ... ich verspürte den Wunsch, mich mit Ihnen zu unterhalten. Wenn Sie nichts dagegen haben. Ich möchte Ihnen nicht lästig fallen.
– Wir können reden, Capitaine, sagt Tahar. Wir können reden.
Capitaine Degorce lehnt sich sanft nach hinten, gegen die feuchte Wand, die Augen halb verschlossen. »Ich bin nicht mit mir im Reinen«, sagt er leise und fügt noch ruhiger, beinahe für sich selbst, hinzu: »Oh nein, ich bin mit mir nicht im Reinen ...« Eine schmerzhafte Empfindung drückt auf seine Brust. Er hätte diese Worte Jeanne-Marie gegenüber äußern können, anstatt ihr andauernd die gleichen Schablonensätze zu schreiben, die einzigen, so macht es den Anschein, die sein Geist von nun an fähig ist zu produzieren, und zum Preis einer so mühseligen Arbeit, wenn er versucht, sich seiner Frau und seinen Kindern zuzuwenden, und natürlich hätte Jeanne-Marie ihn nicht verurteilt, im Gegenteil, sie hätte tausendmal lieber seine Martern und Zweifel mit ihm geteilt, als so die Geduld ihrer Liebe gegen die Festungsmauern einzusetzen, die er Tag um Tag höher um sein Herz herum errichtet hat, sein von Schweigen erfülltes Herz, auch
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