Und meine Seele ließ ich zurueck
hätte er eine Unterredung mit dem Colonel beantragen und ihm ebendiese Worte sagen können, ohne Ausflüchte, wie es sich für einen freien Mann geziemt, dem seine Handlungen das unbestreitbare Recht einräumen, sich auszudrücken, wie er es will, und was sollte es ihm auch schon anhaben, dass dieser Knallkopf ihn nicht verstehen oder auch anmaulen würde oder sogar drohen könnte, ihn unter Arrest zu stellen? Er hatte die Wertschätzung des Colonel gar nicht nötig, es wäre jedoch zunächst vonnöten gewesen, dass er diese Worte zu sich selbst gesagt hätte, dass er ihnen in aller Verlassenheit gegenübergetreten wäre, um das furchterregende Gewicht zu bemessen, das ihnen eignete, es wäre vonnöten gewesen, dass er sich dessen bewusst geworden wäre, bevor er sich jetzt an einer so verheerenden Überschreitung schuldig machte und sie hier aussprach, einem gefesselten Mann gegenüber, den er über Wochen gejagt hatte und der sein Feind blieb, ein Mann, der den Tod unschuldiger Zivilisten angeordnet hat und die Hände ihrer Mörder mit Waffen versah, und zwar wiederholtermaßen, ein Mann, der Tod säte und Terror und der so seelenruhig und leicht zu sein wirkt, als hätte all dies vergossene Blut nicht mehr Gewicht als ein vom Wind gepeitschter Gewitterregen. Und eben all dieser Gründe wegen, Capitaine Degorce weiß es genau, können diese Worte nur ihm gegenüber ausgesprochen werden.
– Ich verstehe, murmelt Tahar.
Die Sanftheit seiner Stimme beunruhigt den Capitaine Degorce plötzlich auf entsetzliche Weise.
– Nein, sagt er mit lauter Stimme, ich bin nicht mit mir im Reinen. Obgleich ich gestern, wissen Sie, als ich zu Ihnen sagte, dass alles zu Ende sei, nun, ich wollte Sie da nicht beeindrucken oder was auch immer, ich wollte keine übertriebene Siegesgewissheit, ganz und gar nicht, ich habe dies zu Ihnen gesagt, weil es wahr ist, es ist zu Ende, es ist nur eine Frage der Zeit, würden Sie in mein Büro treten, Sie würden sich dessen unmittelbar bewusst werden, Sie würden das Organigramm erblicken, Ihre Organisation ist beinahe komplett zerschlagen, ihre vollständige Zerschlagung ist unausweichlich, ganz ehrlich, und von daher ist es zu Ende, aber dieser Sieg, dieser Sieg hier ...
Der Capitaine zuckt mit den Schultern.
– ... ich nehme an, dass es weniger schmerzhafte Siege geben dürfte, Siege, auf die man stolz sein kann. Wie auch immer, sagen wir, dass dieser jetzt kein solcher ist und ich persönlich es vorgezogen hätte, nicht an ihm beteiligt gewesen zu sein.
Er zündet zwei Zigaretten an und reicht eine davon Tahar.
– Warum?, fragt Tahar mit ernsthaftem Interesse. Ich glaube ja keineswegs daran, an Ihren Sieg, aber Sie, wenn Sie sich so sicher sind, dann warum?
– Sie wissen warum, sagt Capitaine Degorce.
– Nein, ich weiß es nicht, insistiert Tahar. Sagen Sie es mir.
Capitaine Degorce verteilt mit seiner offenen Hand den Rauch und zieht sich für einen Augenblick zurück ins Schweigen.
– Sie wissen, sagt er schließlich, dass ich der Résistance angehörte – und er hält sich noch rechtzeitig davor zurück, dümmlich hinzuzufügen: »Auch ich«. Und ich wurde festgenommen. 1944. Festgenommen und befragt.
Er hat dies Hunderte Male zugegeben, stets im Ton des Vertrauens, algerischen Gefangenen gegenüber, wie auch noch am Vorabend bei Abdelkrim, indem er den Schwachstellen auflauerte, jedes Mal den günstigsten Moment abwartete, um daraufhin einen scheinbar menschlichen Kontakt mit seinem Gesprächspartner aufzubauen oder aber diesen dazu zu bringen, zu denken, dass das, was er eben erst erlitten habe, banal gewesen wäre oder lächerlich oder, ganz im Gegenteil, um ihn eine vorgetäuschte menschliche Schwäche flüchtig erblicken zu lassen, die ihm dann umgehend wieder Vertrauen zu sich selbst einflößen würde, ohne dass er sich darüber im Klaren wäre, dass ebendieses Vertrauen sein Verderben ist. Capitaine Degorce hat gelernt, seinen Satz zu modulieren, indem er eine seinem Ziel exakt entsprechende Ausdrucksweise annahm, seinem Gesicht die Maske des Mitempfindens, der Willensschwäche oder der hochfahrenden Verachtung auflegte, und jedes Mal hatte er sich so sehr auf dieses Ziel konzentriert, dass er darüber vergaß, von Ereignissen gesprochen zu haben, die tatsächlich stattgefunden hatten. Heute jedoch ist kein Ziel im Spiel, zum ersten Mal, die Worte führen ihn zurück in die Räume der Gestapo von Besançon, wo zwei Männer, deren Gesichter, nicht aber deren
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