Und meine Seele ließ ich zurueck
morgens immer abstellte, die Kinder liefen hinter ihm her, um ihm seine Waffe zu bringen, obwohl er schon auf dem Weg zum Posten war, die Hände in den Taschen, lächelnd der untergehenden Sonne entgegen, als wäre auch er schließlich ein sorgloses Kind geworden, und genau so stelle ich ihn mir heute noch vor. Er dankte mir dafür, ihm diese Chance eingeräumt zu haben, und er bedauerte mich, er war sich sicher, dass auch für mich der Tag kommen würde, an dem ich zu neuem Leben erwachen sollte, und er sagte, dass er nicht mehr nach Frankreich zurückkehren würde, selbst nicht, wenn der Krieg vorbei wäre, er werde dableiben, bei seinen Kindern, er würde sie ihre Namen in schönen, geschwungenen Buchstaben zu schreiben lehren und ihnen beibringen, Abzählreime zu singen, im Gänsemarsch durch die Gassen des Dorfes zu laufen und Freudenschreie auszustoßen und die Massen an Scoubidous zu knüpfen, die seine Mutter ihm per Post zugeschickt hatte und die die kleinen Mädchen lachend an ihre vielfarbigen Halsketten banden, er hat mir ihre Vornamen geschrieben, sie sind meinem Gedächtnis entwischt, Djeyda, Ghozlene oder Dihya, und er wiederholte noch einmal, dass er sie niemals verlassen werde, er sähe sie noch genau vor sich, wie sie sich darüber verwundern, fotografiert zu werden, auf der kleinen Mauer im Schulhof, im Sommerlicht, das die Farben ihrer Festkleider aufleuchten ließ, und nie mehr werde er sich von ihrem Lächeln entfernen, mit dem sie ihm das Herz brachen und es zugleich mit einer so unbezwingbaren Lebensliebe anfüllten, dass alle Erinnerungen an Leid und Tod, die ihn so manches Mal den Schlaf geraubt hatten, deren Glanz nicht eintrüben konnten. Sicherlich hatte er den Glauben an Gott verloren, aber der neue Glaube, der ihn beseelte, schien ihm unvergänglich und er bedauerte nichts. Die Eltern der Schüler luden ihn ab und an ein, mit ihnen zusammen Couscous mit einfachem Gemüse zu essen oder während der Glückstage einen gegrillten Keiler, dessen unreine Teile sorgsam entfernt, verflucht und ins Feuer geworfen wurden, er nahm seinen Posten mit immer mehr Verspätung ein, mit einem stets lässigeren Schritt, und dann, als er von einem dieser Essen zurückkehrte, eines Nachts im Jahre 1959, da wird er umgebracht. Der Lieutenant, der den Posten befehligte, wurde sich seiner Abwesenheit erst am nächsten Morgen bewusst und den verstümmelten Leichnam hatte man am Wegesrand vorgefunden. Seine MAT 49 war verschwunden. Wäre ich der Verantwortliche des Postens gewesen, ich hätte die ganze Familie, die ihn zum Essen geladen hatte und ja wusste, dass er allein in der Nacht zurückkehren würde, festnehmen lassen, ich hätte ihre Bruchbude abbrennen lassen, aber ich hatte es diesem Schwachkopf von Lieutenant noch nicht einmal vorgeschlagen, ich hatte mich in Erinnerung an meinen jungen Seminaristen darauf eingelassen, meinerseits ebenfalls zu glauben, dass das Lächeln, das seine letzten Wochen erhellte, rein und ehrlich war, und ich habe ganz einfach gebeten, man möge mir erlauben, den Brief persönlich zu schreiben, der an seine Eltern geschickt werden sollte. Das war zwar nicht üblich, der Lieutenant jedoch hatte sofort zugestimmt – tatsächlich habe ich ihn um einen Frondienst erleichtert, er hätte doch nur die nämlichen Formulierungen aneinanderzureihen verstanden, die auch Sie Ihrerseits bei meinem Prozess eingesetzt haben, mon Capitaine, die beispielhafte Führung, die tragischen Umstände, all diese Dummheiten, und seine Gleichgültigkeit hätte die Erinnerung an diesen Jungen beschmutzt, die so viel bedeutete, ja, sie war von Bedeutung, und Sie sind es, mon Capitaine, der mich die Notwendigkeit lehrte, die indirekten Wege der Lüge zu beschreiten, damit die Erinnerung der Toten ebenso geschützt sei wie auch ihre wesentliche Wahrheit, für sich genommen unendlich viel wertvoller als die platte Wahrheit der Fakten. Ich habe seine persönlichen Dinge an mich genommen, Briefe, ein kleines Lexikon, in das er begonnen hatte, Sätze auf Kabylisch samt Übersetzung zu notieren, den schwarzen Christus, eingewickelt in altes Zeitungspapier, und Hunderte von Fotos, die er im Dorf geschossen hatte. Ich habe den Brief an seine Mutter adressiert, ich habe ihr all meine Zuneigung beschrieben, die ich für ihren Sohn empfand, der unter meinem Befehl mehrere Monate gedient hatte, während derer ich seine menschlichen Fähigkeiten und seine unerschütterliche moralische Gradlinigkeit habe schätzen
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