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Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
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erreichen würden und dass sie sich niemals in den Schatten unter das für sie nahe des Palmengartens aufgestellte Zelt setzen werden, dort am Fuße der Erdmauern, die Braut drückte sich an ihren Gatten, der seine Hand auf ihren sterilen Bauch legte, ihren Bauch eines altes Mädchens, der für nichts mehr taugen würde, und man hat sie aus den mit weißen Schleifen geschmückten Autos steigen lassen, das Wetter war so heiß, dass das Blut beinahe augenblicklich getrocknet war, der Wüstenwind ließ eine Darbuka durch den Staub rollen, blies den Stoff der Seidenkleider auf, ließ die zerrissenen Spitzen durch die Lüfte fliegen und trug Richtung Meer kleine rosenfarbene Sandkörner. Der Taxifahrer sagte traurig, dass das Leben einfach nicht aufhöre, hässlich zu werden, bevor er dann lächelte und mich darauf aufmerksam machte, dass sich der Himmel verdunkelt hatte, Hier haben wir an einem Tag alle vier Jahreszeiten, sehen Sie?, und ich habe zu ihm gesagt Ich weiß, in einem gewissen Sinne ist dieses Land auch das meine, aber da wurde er wieder traurig und murmelte Nein, Monsieur, dies ist kein Land mehr, kein Menschenland, es ist ein Schlachthof und ein Gefängnis, und wir, wir sind die Schafe des Opferfestes, er erzählte mir, dass seine zwölfjährige Tochter begonnen hatte, Nacht für Nacht ins Bett zu machen, sie wachte schreiend auf und war völlig in Pisse gebadet, als wäre sie nicht zwölf sondern drei oder sogar zwei, und dass die funkelnden Wolfsaugen ihr im Dunklen wieder auflauern würden, die Nacht war erneut angefüllt mit Wölfen und Monstern, sie spürte deren warmen Atem in der Dunkelheit ihrer Albträume und wachte schreiend auf, der saure Geruch der Pisse stieg ihr in die Nase und sie machte ihren jüngeren Brüdern ebenfalls Angst, die dann auch zu schreien anfingen, es war nichts zu machen, vergeblich konnte man sie herzen, mit ihr schimpfen, ihr sagen, dass sie kein Kind mehr sei, sie machte es Nacht für Nacht wieder, sie zu schlagen hätte keinen Sinn ergeben und er konnte seine Tochter gar nicht schlagen, weil er sie liebte und weil er verstand, woher ihre Angst kam, also hat er sie in seine Arme genommen, ganz mager und stinkend, und wartete darauf, dass sie wieder einschlief. Und er sagte Sie haben Glück, Monsieur, dass Sie das Land verlassen haben, aber sehen Sie, es fängt an zu regnen und in einer Stunde klart es wieder auf. Ich habe nichts darauf geantwortet und habe an meinen jungen Seminaristen gedacht und ich habe mich gefragt, ob sein neuer Glaube der Gewalt des Lebens standgehalten hätte und für wie lange oder aber ob er schlussendlich begriffen hätte, dass das Lächeln der Kinder nichts zu bedeuten hat und dass wir, mon Capitaine, recht hatten, es nicht zu verstehen, und ich habe mich daran erinnert, dass die Wege der Lüge manchmal zur Wahrheit führen, so wie Sie es mich gelehrt hatten, denn ich war mir nun sicher, dass er, wie ich es seiner Mutter geschrieben hatte, nicht mehr hatte weggehen wollen, selbst dann nicht, wenn er seinen Tod vorweggefühlt hätte. So ist es, mon Capitaine, aus der Lüge gebiert sich die Wahrheit, der junge Seminarist akzeptierte es, zu sterben, und Capitaine Lestrade war ein Held, warum sollten sie zu beklagen sein? Aber für Sie, mon Capitaine, für Sie war es wichtig, weiterzuleben wie ein Lakai, indem Sie sich an Prinzipien klammerten, an die zu glauben Sie selbst nicht mehr die Kraft besaßen, ich bin mir dessen in jener Nacht auf dem Weg nach Taghit bewusst geworden, ich erinnere mich sehr genau, Sie betrachteten den Mond, als wären Sie allein auf der Welt und hätten nicht einmal mehr die Kraft, sich Ihrer Siege zu erfreuen, selbst Ihre Verachtung war ein Zeichen der Schwäche. Ich muss Sie sehr geliebt haben, mon Capitaine, um nicht schon damals verstanden zu haben, dass in Ihren Augen nichts mehr Bedeutung besaß, nicht einmal mehr Ihre eigene kleine Person, an der Sie ja zumindest doch so sehr gehangen haben, und wenn ich begriffen hätte, was aus Ihnen geworden war, ich hätte niemals 1961 auf Sie gezählt und Ihre erbärmliche Aussage bei unserem Prozess hätte mich nicht überrascht und in dem Maße verletzt, wie Sie mich häufig verletzt haben, mon Capitaine, ohne sich dessen auch nur bewusst gewesen zu sein. Es ist so schwierig, sich damit abzufinden, wieder zu leben, ich weiß es sehr genau, ich weiß es so lange schon, mon Capitaine, ich habe meinem Anwalt verboten, in Revision zu gehen, ich wollte nicht mehr warten, ich

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