Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und meine Seele ließ ich zurueck

Und meine Seele ließ ich zurueck

Titel: Und meine Seele ließ ich zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari
Vom Netzwerk:
wollte keine Reden mehr hören, ich wollte das vernichtete Gesicht meiner Eltern nicht mehr ertragen müssen im Besucherraum von Fresnes, auch die Tränen der Schwester von Paul Mattei nicht, und ich hoffte, dass dies alles nicht mehr lange dauern würde, aber Salan hatte seinen Kopf gerettet und mir war klar, dass sie uns nicht hinrichten würden. In der Nacht, die auf die Verkündung unserer Begnadigung folgte, hatte Paul versucht, sich umzubringen, aber sie haben ihn gerettet, sie haben ihn nicht einmal seinen Tod wählen lassen, und als ich ihn nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wiedergesehen habe, mon Capitaine, da sagte er zu mir Was für eine Komödie, Horace, was für eine Komödie und was für eine Schande, ich habe Ja geantwortet und ihn in meine Arme genommen. 1968 sind wir entlassen worden und nach Hause gegangen. Ich hatte mein Dorf seit meiner Rückkehr aus Indochina nicht wiedergesehen, hatte dort aber noch immer mein Haus und einen Platz auf dem Friedhof. Ich habe jahrelang kein Wort an die militanten Kommunisten gerichtet, mit denen ich in meiner Kindheit gespielt hatte, und sie schauten mich an, als wäre ich der Teufel. Aber alles ist so belanglos, mon Capitaine, alles ist so schnell vergessen, der Hass kühlt ab, dann vergeht die Gefühlskälte und schließlich haben wir uns beim Kartenspiel wiedergefunden, in der Dorfkneipe, winters beim Ofen, sommers unter der Weinlaube, bis alle alt waren. Ich habe Paul nicht mehr angerufen, da wir uns nichts mehr zu sagen hatten, aber nie habe ich die Hoffnung aufgegeben, Sie eines Tages wiederzusehen, mon Capitaine, ganz zufällig vielleicht, ich erinnerte mich nicht mehr an den Namen des Dorfes, aus dem Ihre Frau stammte, und ich hätte mich zudem auch ganz gewiss nicht dorthin begeben, aber ich war ununterbrochen davon durchdrungen, Sie wiederzusehen, vielleicht beim Einkauf in der Stadt, an einer Straßenecke, und ich wusste, dass ich Sie wiedererkennen würde, ich hatte ja das Gesicht des Alten, zu dem Sie geworden sind, bereits gesehen gehabt, ich hatte es für einen Augenblick aufscheinen sehen an jenem Morgen im Frühling 1957 und ich erinnere mich sehr genau daran. Ich weiß nicht, warum ich Sie unbedingt habe wiedersehen wollen, vielleicht um eine alte Schuld zu begleichen, deren Fälligkeitsdatum ich während all dieser Jahre immer wieder aufgeschoben habe – denn ich schulde Ihnen etwas, mon Capitaine, seit Langem schon, etwas, das ich nicht mehr bei mir behalten möchte. Wir hatten alles vorbereitet, wissen Sie, während Sie Ihren Chimären nachträumten, wir hatten alles vorbereitet. Wir hatten einen Haken an der Decke befestigt, an dem wir dann ein Seil aufgehängt haben, es war in einem Keller. Was immer Sie auch denken mögen, mon Capitaine, ich mag es nicht besonders, jemanden leiden zu lassen, ich begnüge mich damit, das Nötige zu tun und es gut zu tun. Während wir auf dem Weg nach Saint-Eugène waren, hat Tahar nichts gesagt. Er saß zwischen dem Seminaristen und Belkacem, der sein Lied leise vor sich hin pfiff, und betrachtete seine gefesselten Hände. Als wir in der Villa ankamen, hat er das Seil und den Stuhl gesehen und wirkte nicht überrascht. Wenn ich ihn hätte töten können, ohne dass er etwas bemerkt, ich hätte es getan, aber dies war nicht möglich und mir war es ebenfalls wichtig, ihm an diesem Punkte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mon Capitaine, er war mutig, das stimmt, auch wenn das nicht wirklich von Bedeutung war. Einen Augenblick lang befürchtete ich, er werde auf die alberne Idee kommen, uns eine Rede halten zu wollen oder einen historisch bedeutsamen Ausspruch zu machen, aber er tat es nicht, er begriff die Situation und wusste, dass dies nicht der geeignete Moment war, sich was weiß ich für lächerlichen Kindereien hinzugeben. Aber eines hat er doch gesagt, ja, er hat etwas gesagt und ich schulde Ihnen die Wahrheit. Er hat sich mir zugewandt und mich gefragt Würden Sie Capitaine Degorce von mir etwas ausrichten?, und ich habe ihn angesehen und habe Nein gesagt. Wir haben ihn umgehend auf den Stuhl gehievt, um ihm das Seil um den Hals zu legen, ich habe gegen den Stuhl getreten und Belkacem hat ihm die Arme um die Hüften geschlungen und sich an ihn gehangen. Der junge Seminarist ist aufrecht nahe der Tür stehen geblieben und hat den Kopf abgewandt. Alles war sehr schnell beendet. Vielleicht hätte ich seine Nachricht entgegennehmen sollen, vielleicht hätte ich zumindest am nächsten Morgen Ihnen

Weitere Kostenlose Bücher