Und meine Seele ließ ich zurueck
verständlicherweise, denn er ließ Tahar nicht aus den Augen, als Belkacem diesen brutal ins Auto stieß und dabei irgendetwas auf Arabisch murmelte, und wie gern hätte er es gesehen, wenn Tahar sich noch einmal zu ihm umgedreht und ihn angelächelt hätte, aber er hat es nicht getan und Capitaine Degorce hat einfach nur gedacht, dass sie so nicht hätten Abschied nehmen dürfen voneinander, auch wenn sie sich eines Tages wiedersehen sollten, bei strahlendem Sonnenschein. Und nun und für immer ist es zu spät. Er schlief den friedlichsten Schlaf, der ihm seit Langem gegönnt war, zu einer Stunde, in der um den Hals von Tahar ein Seil gelegt wurde, und die Zuckungen seines Todeskampfes haben ihn nicht geweckt. Am Morgen hat er seinen Kaffee getrunken und friedlich am offenen Fenster seine Zigarette geraucht, ohne zu wissen, dass er der Komplize eines Verbrechens geworden war, das zu büßen ihm niemals möglich sein würde.
(Sie haben ihn mir genommen, Andreani, Sie haben ihn mir genommen.)
Wie sollte er seine Naivität büßen, seine unergründliche Dummheit, die absolute Nichtigkeit seiner optimistischen Vermutungen? Er hatte nicht bedacht, dass von nun an die Unverschämtheit in einem Maße vorherrschen würde, dass selbst die Lüge sich nicht einmal mehr mit dem Schmuck der Wahrscheinlichkeit aufputzen musste, es genügte bereits, mit wissendem Augenzwinkern zu behaupten: »Tarik Hadj Nacer hat sich in seiner Zelle das Leben genommen«, bei Verachtung aller Evidenz und ohne nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob man dabei rüde wirkte, da ja die hündische Angst, die die Männer in ihre Gewalt genommen hatte, diese schließlich dazu brachte, die Lüge zu lieben, oh ja, sie liebten sie und sie sehnten sich nach ihr mit aller Kraft ihrer Sklavennaturen, und wenn man dem allem auch noch den schamlosesten, den kältesten Zynismus hinzufügte, ja, dann kannte ihre Bewunderung keine Grenzen mehr, und Capitaine Degorce hatte nichts bedacht, nichts gesehen, nichts verstanden; es bleibt ihm nichts anderes als der armselige Trost, es nicht gewollt zu haben.
(Aber dies ist der Fehler, nicht die Entschuldigung: der Fehler.)
Er würde zu gerne den Colonel anrufen, ihm sagen, dass er nichts anderes sei als ein würdeloser Mörder, aber er kann es nicht, ist er doch selbst ein Mörder. Er weiß es mit Gewissheit: allein zählt, was er getan, nicht, was er gewünscht, und er geht hinaus in die Flure, das elektrische Licht sticht ihm in den Augen, seine Beine sind schwer, und nachdem er Moreau angetroffen hat, nimmt er diesen am Arm und sagt zu ihm mit ganz dünner Stimme, während er ihm in die Augen schaut:
– Er ist fort, Moreau. Sie haben ihn mir genommen.
(Ich habe ihn ausgeliefert, ich.)
– Kommen Sie, mon Capitaine, sagt Moreau und führt ihn übereilt in die Küche, kommen Sie her, setzen Sie sich. Wollen Sie etwas Wasser?
Capitaine Degorce lässt sich auf einen Stuhl fallen.
– Sie wissen es, nicht wahr? Sie wissen, was die gemacht haben?
– Ja, mon Capitaine. Alle wissen es.
Capitaine Degorce legt sich eine Hand aufs Gesicht. Er findet seine Ruhe wieder.
– So macht man das nicht, Moreau, sagt er traurig, nein, so führt man keinen Krieg. Nicht wir.
– Dieser Krieg ist dreckig, mon Capitaine, antwortet Moreau mit Gutmütigkeit. Das wissen Sie ebenso gut wie ich.
– Man möchte meinen, ich hätte es nicht gewusst.
Der Adjudant-Chef reicht ihm ein Glas Wasser, das er mit einer Geste zurückweist.
– Lassen Sie mir einen Wagen kommen.
*
Der Fahrer setzt ihn an der Basilika Notre-Dame-d’Afrique ab. Die ganze Fahrt über hat er sich die Kühle der Kirche vorgestellt, den das Holz des Beichtstuhls imprägnierenden Geruch nach Weihrauch und Feuchte sowie die achtsame Anwesenheit des Priesters auf der anderen Seite des Gitters, aber auf den Stufen des Vorplatzes bleibt er aufrecht stehen, die Baskenmütze in der Hand, er sieht den gekreuzigten Christus hinter dem Altar, die Votivtafeln, alte Damen grüßen ihn mit einem Kopfnicken, er kann keinen einzigen Schritt machen. Er hat das Gefühl, dass ihn, sollte er einen Schritt nach vorn gehen, eine unsichtbare Hand davonjagen würde und die Hostie ihn wie Säure verbrennen würde. Gott will nichts von ihm wissen. Er setzt seine Baskenmütze wieder auf und nähert sich der Esplanade. Ein leichter Nebel schwebt über dem Meer und er hört das Geräusch der Wellen, die an den Felsen weiter unten in Saint-Eugène zerstieben. Alles, was er zu
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