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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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Claudius schon in der Hocke und klaubte es vom Boden auf.
    »Ihr scheint viel von Goethe zu halten«, sagte er, als er es mir zurückgab. Wieder berührten sich unsere Finger, wieder war es, als würde ein Blitz überspringen.
    »Goethe?«
    »Du liest die ›Wahlverwandtschaften‹ und auf eurem Zwanziger ist er auch drauf.«
    »Na ja, Weimar liegt ja auch in der DDR «, entgegnete ich, obwohl ich wusste, dass das nicht wirklich eine Erklärung war. Meines Wissens war Goethe in Frankfurt am Main geboren. »Es gibt hier ein riesiges Denkmal mit ihm und Schiller und …«
    Sein Lächeln brachte mich zum Schweigen. Mir war mein Gerede auf einmal vollkommen peinlich. Ich schob die »Wahlverwandtschaften« in die Tasche und bedeutete ihm dann, mir zu folgen.
    Die Wichertstraße war eigentlich nichts Besonderes. Es gab zahlreiche graue Wohnhäuser, einen HO und einen Kindergarten … nichts, was einen aus dem Westen reizen würde. Auf der Straße knatterten Trabis und Wartburgs vorbei, auf dem Grünstreifen in der Mitte standen ein paar Bäume. Der einzige schöne Ort hier war der Humannplatz.
    »Das ist es!«, sagte ich und deutete auf das dreigeschossige Mietshaus mit den Balkonen zur Straße raus. »Nicht besonders toll, oder?«
    »Na ja …« Claudius’ Kratzen am Kopf sprach Bände. »Es ist … historisch …«
    Jeder andere hätte vielleicht vergammelt gesagt. Na ja, das stimmte nicht so ganz. Es war halt alt, hatte einen Riss, Putz blätterte von der Fassade und die Balkongitter waren früher sicher einmal sehr schön gewesen, doch jetzt geschwärzt von Straßenstaub und dem Rauch, der aus den Schornsteinen quoll. Immerhin waren die Balkons stabil, sodass man draußen sitzen und die Leute auf der Straße beobachten konnte.
    »Es müsste unbedingt renoviert werden«, entgegnete ich, ohne den Blick von dem Balkon im dritten Stock abzuwenden. Mein Balkon. »Ich habe ein Foto von früher gesehen, da war es sehr hübsch. Die Wände waren ganz hell.«
    »Kümmert sich denn niemand darum?«
    »Doch, aber es gibt kaum Material.«
    »Aber die Wände müssten doch einfach nur mal gereinigt werden!«
    »Ja, vielleicht, wenn mal irgendein Staatsbesuch hier durchkommt. Aber das passiert eher nicht. Ganz in der Nähe ist die Grenze, am Ende der Schönhauser. Hier kommt niemand her.«
    Claudius betrachtete das Haus nachdenklich. Stellte er sich vor, wie es in renoviertem Zustand aussehen würde? Das gelang nicht einmal mir so richtig, denn das Foto war aus sehr alter Zeit gewesen, und ich hatte es nur einmal gesehen. Ich konnte nur sagen, dass es sehr schön gewesen war.
    »Tja«, sagte ich schließlich, um das unangenehme Gefühl zu vertreiben, das sich wieder anschlich. »Nicht viel zu holen.«
    »Wohnst du gern hier?«
    Ich nickte. »Oben auf dem Balkon ist es herrlich. Man kann die ganze Straße überblicken und über einem ist nur der Himmel. Dort sitze ich gern, wenn es das Wetter erlaubt. Und sonst … das Haus ist in Ordnung. Ab und zu geht mal was kaputt, und es dauert lange, bis irgendwelche Ersatzteile da sind. Aber das kann man dem Haus nicht anlasten. Irgendwie kriegt es unser Hausmeister hin, und wenn wir unsere Boiler nicht nutzen können, machen wir das Waschwasser eben im Topf auf dem Herd warm.«
    Claudius schüttelte den Kopf. »Wie könnt ihr so nur leben?«
    »Du siehst ja, irgendwie geht es.« Ich zuckte mit den Schultern. »Und wo es nicht geht, werden Eingaben geschrieben. Zwar glaubt kaum noch jemand dran, dass die was bewirken, aber hin und wieder passiert ein Wunder.«
    Schließlich brachte ich Claudius wieder zum Bahnhof. Auf dem Weg grollte es über uns. Das Gewitter, das sich durch die Schwüle und die dunklen Wolken bereits angekündigt hatte, war da.
    »Ich glaube, ich muss wohl wieder«, sagte Claudius, wie ich es befürchtet hatte. Der Donner war ein Omen gewesen.
    Wir sahen uns eine Weile verlegen an, und ich dachte mir, dass es eigentlich nichts bringen würde, darauf zu hoffen, dass er wiederkam. Ich versuchte, einen auf cool zu machen, aber ich war nicht besonders gut darin mich zu verstellen.
    Ich wollte ihn wahnsinnig gern wiedersehen.
    Und er? Während wir schweigend die Treppe hinaufstiegen, schielte ich zu ihm rüber. Von seiner Miene konnte ich aber nichts ablesen. Zweifel kamen in mir auf. Vielleicht war ich ihm ja mit dem vielen Gequatsche auf die Nerven gegangen …
    Inzwischen fuhr die Bahn ein. Die letzten Stufen legten wir im Sprint zurück. War es das jetzt? Sollte ich

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