Und morgen am Meer
warum schien plötzlich etwas in meinem Magen zu flattern?
»Ich hab keinen«, antwortete ich schnell. »Die Sache mit der Kassette … na ja, das ist so’n Ding zwischen Sabine und mir … aber die kennst du ja nicht und … wir machen das immer montags …«
Ich musste erst mal Luft holen.
So, wie Claudius mich jetzt anlächelte, und überhaupt, dass er mich ständig ansah, führte nicht gerade dazu, dass ich besser durchatmen konnte. Und besser denken. Im Gegenteil, das Flattern wurde mehr. Es nahm mir nicht nur den Atem, es fraß auch meine Gedanken. Wenn man so einem Jungen gegenüberstand, sollte man doch eigentlich was Cooles sagen. Doch ich stammelte wirr vor mich hin.
»Sabine ist die Blonde mit dem Zopf, stimmt’s?«, fragte er schließlich und erlöste mich aus meiner Wortfindungspanik. »Mit der du gestern im Zug gesessen bist.«
»Ja, meine beste Freundin.«
»Und ihr tauscht montags immer Kassetten aus?«
Immerhin hatte er verstanden, was ich mit meinem Gestammel sagen wollte.
»Ja, wir tauschen, was wir am Wochenende aufnehmen. Sabines Radio kriegt den SFB besser, ich den RIAS . Manchmal auch den Deutschlandfunk oder dieses englische Radio.«
» BBC «, half mir Claudius auf die Sprünge. »Die haben die beste Musik!«
»Ja, aber leider bekomme ich den nur, wenn das Wetter sehr klar ist. Ist wie mit dem NDR , den kriegt man auch nur bei klarem Wetter.«
»Und was guckst du so? Ich meine, was für Sendungen seht ihr euch hier an?«
»Wird das ein Verhör oder was?«
»Vielleicht.« Claudius lächelte breit. »Wann treffe ich schon mal ein Mädchen aus dem Osten?«
Auf einmal war meine Unsicherheit wieder da. Warum ging er nicht einfach wieder? Nicht, dass ich das gewollt hätte, aber …
»Am liebsten Formel 1 und dann noch die Gruselfilme im NDR .«
»Mumien, Monstren, Mutationen!« Claudius hob die Hände und tat so, als wäre er eine rachsüchtige Mumie.
»Ja, genau!«, lachte ich auf. »Ich wollte mir eigentlich gestern den Film anschauen, aber ich musste die blöde Wandzeitung machen.«
Ich stockte. Wahrscheinlich wusste er nicht, was eine Wandzeitung war.
»Du hast nichts verpasst, es kam irgend so ein Schwarz-Weiß-Schinken aus Amerika. Wo man den Faden des Ufos gesehen hat, wenn es durchs Bild fliegt.«
Am liebsten würde ich ihn darauf hinweisen, dass ich ständig nur Schwarz-Weiß-Schinken zu sehen bekam, aber da langte Claudius nach hinten und zog etwas aus seiner Gesäßtasche. Ein Buch. Nagelneu.
»Ich hab hier noch was für dich. Als Entschädigung dafür, dass du nach der Kassette suchen musstest.«
Ich dachte an meinen Heulkrampf gestern und war froh, dass er ihn nicht mitbekommen hatte. Erst im nächsten Augenblick ging mir der Sinn seiner Worte auf. Das Buch war für mich?
»Hier, das habe ich am Alex gekauft«, setzte er hinzu.
»Dshamilja« von Tschingis Aitmatow. War das zu fassen? Ich kannte es noch nicht, wusste aber, dass es eine sehr schöne Liebesgeschichte sein sollte.
»A… aber das wäre doch nicht nötig gewesen«, entgegnete ich.
»Ich musste am Grenzübergang fünfundzwanzig Mark umtauschen. Ich wusste nicht, was ich damit machen sollte, also dachte ich mir, dass ich dir ein Buch mitbringe.«
Noch immer zögerte ich, es anzunehmen. »Eigentlich müsste
ich dir
ja Finderlohn geben. Immerhin hast du die Kassette gefunden.«
Ein schelmischer Ausdruck trat auf Claudius’ Gesicht. »Na ja, wenn die Musik auf der Kassette grottenschlecht gewesen wäre, hätte ich bestimmt Finderlohn oder vielleicht auch Schmerzensgeld von dir verlangt. Aber so hast du noch mal Glück gehabt.«
»Du hast sie dir angehört?« Ich wusste nicht, ob mein Gesicht noch roter werden konnte, aber auf jeden Fall wurde es noch heißer.
»Ja, ich wollte Hinweise auf dich finden. Es hätte ja auch sein können, dass die Aufnahme für die Schule ist.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, so was machen wir eigentlich nicht. Wer im Informatik-Club mitmacht, schleppt manchmal Kassetten mit sich herum, aber das ist auch nur einmal die Woche.«
»Kassetten für Informatik?«, wunderte sich Claudius.
»Ja klar, wo sollen die denn ihre Daten drauf speichern?«
»Na auf Disketten!«
»Haben wir hier nicht. Jedenfalls nicht in der Schule. Wer ziemlich reiche Verwandte drüben hat, hat vielleicht ’nen Amiga mit Disketten, aber in der Schule werden Daten auf Kassetten gespeichert. Du kannst froh sein, dass auf meiner Kassette nur Musik war. Was meinst du, was du zu hören
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