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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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anschwoll und er so einen stechenden Blick bekam. Zu gern würde ich mal sehen, wie er diesen Blick unserem Stabü-Lehrer zuwarf. Ob der dann die Flucht ergriff?
    Ich konnte mir nicht helfen, ich musste lachen.
    »Unser Staatsbürgerkundelehrer erzählt das, aber wir glauben ihm nicht. Wir wissen, dass ihr nicht viel anders seid als wir – nur ohne Pioniernachmittage oder FDJ .«
    Jetzt lockerten sich seine Züge wieder ein bisschen.
    »In der Schule müssen wir den Käse nur nachquatschen. Hinterher ist es eher so, dass wir zur Mauer laufen, um zu hören, wie David Bowie auf eurer Seite ein Konzert gibt.«
    »Du hast das Konzert vor zwei Jahren gehört?« Sein Körper spannte sich plötzlich und seine Augen leuchteten.
    »Nicht selbst. Aber ein Kumpel von mir hat sich mit ’nem Kassettenrekorder da hingestellt.« Wie immer musste ich bei der Vorstellung grinsen, wie Lorenz sein Mikro in die Luft gehalten hat, nur damit wir und seine Freunde am Alex, die sich nicht an die Mauer wagen wollten, auch etwas von dem Konzert hatten. »Man hört kaum was vor lauter Stimmen und Rauschen, und später, als die Polizei angerückt ist, wurd’s ganz undeutlich, weil dann alle ›Weg mit der Mauer‹ gerufen haben. Aber hin und wieder kann man was hören, besonders bei David Bowie waren alle ganz leise.«
    Seltsam, wie vertraut mir Claudius war. Dabei kannten wir uns doch erst seit etwas mehr als einer Stunde.
    »Soll ich dir ein wenig die Gegend zeigen?«, fragte ich. »Mein Haus und so?«
    »Hast du keine Angst, dass ich euch mit meinen Klassenfeindkumpels überfallen komme?« Er grinste viel zu breit, um das wirklich ehrlich zu meinen.
    »Wir hatten vor Kurzem ZV -Unterricht, ich weiß, wie ich mich wehren kann!«, entgegnete ich. Die beiden Wochen, die wir in einer graugrünen Uniform herumlaufen mussten, waren alles andere als toll gewesen. Wir mussten über den Sportplatz robben und mit Gasmaske rennen – schlimmer konnte Ersticken auch nicht sein. Aber immerhin war es wieder etwas, von dem Claudius keine Ahnung hatte.
    » ZV -Unterricht? Was ist das denn?«
    »Zivilverteidigung. Da lernt man, wie man aus Plastiktüten und Zellstoff Atommasken bastelt, Bunker im Werkraum baut und Verletzte verkehrt herum transportiert.« Genau das hatten wir getan. Glücklicherweise war ich nicht auf der Trage, die zwei Jungs aus der 9b falsch herum die Schultreppe hinaufgeschleppt hatten, sodass die »Verletzte« kopfunter lag und beinahe von der Trage gekippt wäre.
    »Atommasken aus …« Claudius schüttelte ungläubig den Kopf. »Das habt ihr wirklich getan, oder nimmst du mich auf den Arm?«
    »Nee, das stimmt. Unsere Jungs müssen in den Ferien noch ins Wehrlager, das brauchen wir Mädchen glücklicherweise nicht. Man will bei den Jungs erreichen, dass sie Spaß dran bekommen, Soldaten zu werden.«
    Claudius schnaufte spöttisch und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte er seinen Freunden morgen viel zu erzählen.
    »Niemand hat Spaß dran, Soldat zu werden!«, platzte es aus ihm heraus. Und wieder schwoll seine Ader an! »Bei uns wollen die meisten Jungs verweigern. Und die, die in Westberlin wohnen, müssen erst gar nicht zur Armee.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Das ist hier anders. Unsere Jungs müssen. Nur dann nicht, wenn sie untauglich gemustert werden oder irgendwelche ethischen Bedenken anmelden. Dann werden sie Bausoldaten.«
    »Und woher weißt du das so genau? Bringen sie euch das bei diesem ZV bei?«
    »Nein, ich habe einen Bruder. Er ist letztes Jahr eingezogen worden und muss noch bis Winter in der Kaserne schmoren.«
    Claudius wirkte noch immer ein bisschen entsetzt. »Ist er gern Soldat geworden?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber er hatte weder eine passende Krankheit noch einen Zettel vom Pfarrer.«
    »Christen können also verweigern?«
    »Nein, sie kommen zu den Bausoldaten. Und nach dem, was mein Bruder erzählt, werden sie schikaniert ohne Ende, eben weil sie in der Kirche sind.«
    Claudius schwieg einen Moment lang nachdenklich. Das gab mir die Gelegenheit, ihn näher zu betrachten. Bei seinen Augen fiel mir auf, dass sie nicht wirklich nur braun waren, sie hatten goldene Sprenkel in der Mitte. Sehr hübsch! Nur schade, dass diese Augen jetzt so traurig schauten.
    »Du wolltest mir doch zeigen, wo du wohnst«, sagte er dann.
    »Ja, klar.« Als ich mich erhob, verlor ich doch tatsächlich mein Buch. Nicht »Dshamilja«, sondern die »Wahlverwandtschaften«. Bevor ich es aufheben konnte, war

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