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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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nicht die Schuhe des Stasimannes erwischt, was mir beinahe ein wenig leidtat – Lorenz hätte sich über meine Gedanken sicher köstlich amüsiert.
    Immerhin versuchte Herr Neumann, mich irgendwie rauszuhauen, denn er redete weiter auf den Stasimann ein. Allerdings schien dieser nicht gewillt zu sein, mich laufen zu lassen.
    Wieder kam mir in den Sinn, einfach aus dem leeren, gruseligen Schulgebäude mit dem Honecker-Bild zu fliehen. Doch diesmal konnte ich es wegen meiner Beine nicht. Sie waren weich wie Gummi, und außerdem tobte in mir immer noch die Angst. Wahrscheinlich warteten draußen noch irgendwelche schlecht angezogenen Stasileute in irgendeinem Lada oder Wartburg in der Nähe der Schule, um mich im Ernstfall wieder einzufangen.
    Was würde jetzt werden? Ich hatte Claudius nicht verraten, damit waren sie so schlau wie vorher. Aber natürlich würde die Stasi uns jetzt im Auge behalten. Vielleicht auch Papa im Kombinat Schwierigkeiten machen.
    Als die Tür neben mir geöffnet wurde, zuckte ich zusammen.
    »Du kannst gehen, Milena«, sagte Herr Neumann, bemüht, irgendwie ein Lächeln zustande zu bringen. »Der Herr vom MfS hat keine weiteren Fragen mehr an dich.«
    Wie denn auch, wo er versucht hatte, mich wie ein Stück Schnitzel durch den Fleischwolf zu drehen!
    Ich versuchte, mich auf die Füße zu stellen, doch es ging nicht. Meine Knie knickten wie von allein ein und ich musste mich wieder hinsetzen.
    Herr Neumann sah mich ein wenig verwundert an, so als hätte er nicht mitbekommen, dass ich erst vor wenigen Minuten sein Büro vollgebrochen hatte, dann sagte er: »Ist dir immer noch schlecht?«
    Ich nickte. Übel war mir nicht mehr, aber ich fühlte mich ganz furchtbar schwach.
    »Meinst du, dass du so zur Bahn gehen kannst?«, fragte Herr Neumann weiter. So fürsorglich hatte ich ihn noch nie erlebt. Auf einmal fragte ich mich, ob das mit dem Zettel für Lorenz wirklich seine Idee gewesen war. Oder ob da nicht auch dieser Stasimann in seinem Büro gesessen hatte.
    Ich schüttelte auf seine Frage den Kopf, denn ich bezweifelte, dass ich auch nur einen Schritt aus dem Schulhaus machen konnte, ohne noch im Gang umzuknicken und hinzufallen.
    Herr Neumann atmete schwer durch und betrachtete mich. Ich erwiderte seinen Blick nicht, aber ich spürte ihn.
    »Gut, ich werde dich nach Hause fahren«, sagte er dann, und ehe ich etwas dazu sagen konnte, verschwand er wieder im Büro. Ich hörte, wie er sich mit dem Stasimann unterhielt, und offenbar hatte der nichts dagegen, dass sich Neumann kurz absetzte, um mich nach Hause zu bringen.
    Wenig später saß ich in einem roten Wartburg, den Herr Neumann in Richtung Schönhauser Allee steuerte. Die ganze Fahrt über sprachen wir nicht, was ich sehr angenehm fand. So hatte ich die Gelegenheit, alles still mit mir auszumachen, und ich spürte, wie meine Knie allmählich auch wieder fester wurden. Bis wir zu Hause waren, würde ich bestimmt wieder ohne fremde Hilfe laufen können.
    Aber dann … Ja, was wäre, wenn ich zu Hause ankam? Die vergangene Stunde hatte mein Leben vollkommen umgekrempelt. Nicht nur, dass ich wegen Claudius in die Mangel genommen worden war, ich wusste nun auch, dass Mama nicht tot, sondern in den Westen abgehauen war, und dass wir deshalb wohl schon unter Beobachtung der Stasi gestanden hatten. Und nicht nur das, mir drohte jetzt auch ein Schulverweis oder das Verbot, mein Abi zu machen oder sogar der Jugendwerkhof! Papa würde ausrasten deswegen! Und ich konnte beim besten Willen nicht erkennen, was ich Unrechtes getan haben sollte! Ich hatte keine Geheimnisse verraten, gegen niemanden gehetzt. Ich hatte nur einen Brief von Claudius bekommen und ihm einen geschrieben. Langsam konnte ich die Leute, die über Ungarn flohen, wirklich verstehen.
    Nachdem Herr Neumann den Wartburg in eine Parklücke gequetscht hatte, stellte er den Motor ab. Ich wollte mich schon bedanken und aussteigen, doch er hielt mich zurück.
    »Sieh dich in der nächsten Zeit gut vor, Milena«, sagte er so leise, als fürchtete er, belauscht zu werden. War es möglich, dass die Stasi seinen Wartburg verwanzt hatte? »Sie werden ein Auge auf dich haben und nicht eher Ruhe geben, bis sie all das wissen, was sie wissen wollen.«
    »Aber was wollen sie denn?« Ich fragte mich, ob ich ihn nach meiner Mutter fragen sollte. Nein, lieber nicht, vielleicht hatte er mich ja nur gefahren, um doch noch etwas aus mir rauszukriegen. Das kannte ich aus amerikanischen Krimis, wo einer

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