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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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passiert?« Der Stasimann schrieb irgendwas auf. Sein Kugelschreiber quietschte ein wenig, während er die unleserlichen Buchstaben auf das graue Papier kritzelte, das ein bisschen nach unserem Klopapier aussah.
    »Er ist gestorben. Schon vor vielen Jahren.«
    »Und der Bekannte, der Ihnen geschrieben hat?«
    »Ist ein Neffe von ihm.« Würde er das glauben? Konnte er das nachprüfen?
    Wieder bohrte sich eine Faust in meinen Magen, ganz langsam. Diese Schweine hatten Claudius’ Brief gelesen. Woher sollten sie sonst davon wissen?
    Ich konnte anscheinend nur froh sein, dass ich ihn überhaupt bekommen hatte. Oder hatten wir gar im Haus jemanden, der schnüffelte? Hatte es der Postbote gemeldet, gleich nachdem er den Brief in den Kasten hatte wandern lassen? Niemals vorher hatte ich das Gefühl gehabt, vor irgendwem aus meiner Umgebung Angst haben zu müssen, aber offenbar musste ich das.
    Der Stasimann schien jetzt zu versuchen, meine Gedanken zu lesen, jedenfalls schaute er mich minutenlang an. Seinem Blick konnte ich nur kurz standhalten, so bohrend war er.
    »Erzählen Sie uns etwas über den Inhalt des Briefes«, sagte er dann. »Waren Ihrer Meinung nach staatsfeindliche Äußerungen enthalten?«
    Das war jetzt die Höhe! Sie hatten geschnüffelt, den Brief gelesen und jetzt fragten sie mich! Am liebsten hätte ich ihm an den Kopf geknallt, dass er doch schon alles wisse, doch ich kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
    »Nein, nicht, dass ich wüsste. Er …« Beinahe hätte ich die Bilder erwähnt! Womöglich hatte der Typ sie schon gesehen. Aber an dem seltsamen Porträt eines Jungen war doch nichts Gefährliches.
    »Was hat er?«, fragte der Stasimann drohend.
    »Er hat mir etwas über seinen Garten geschrieben«, erklärte ich. »Nichts weiter. Der Brief war nicht sehr lang.« Dass er mir geschrieben hatte, dass ich eines Tages seine Seite sehen würde, verschwieg ich. Wenn die Stasileute den Brief gelesen hatten, wussten sie auch das. Und wenn nicht …«
    Der Unbekannte schrieb noch irgendetwas auf. Ich machte mir nicht die Mühe, seine Krakelei zu entziffern.
    »Sie wissen hoffentlich, was es bedeutet, mit Staatsfeinden Kontakt zu halten«, sagte der Stasimann, während er den Kuli vor sich ablegte und die Hände über dem grauen Papier faltete, als wollte er beten. »Von Genosse Neumann weiß ich, dass Sie vorhaben, das Abitur zu machen und zu studieren. Sie sollten sich gut überlegen, wie Ihre nächsten Schritte aussehen. Kommt es zu keinen weiteren Auffälligkeiten, werden wir die Sache mit dem Brief vergessen. Doch wenn wir davon Kenntnis erhalten, dass Sie mit Staatsfeinden kommunizieren, werden wir Maßnahmen ergreifen müssen, die nicht nur Sie betreffen, Jugendfreundin, sondern auch Ihre Familie. Sie wissen, dass auf Landesverrat empfindliche Haftstrafen stehen. Selbst für Jugendliche wie Sie. Sie wollen sich doch nicht anstelle des Studiums in einem Jugendwerkhof wiederfinden, oder?«
    Mit schwirrte der Kopf. Wieso redete er immer wieder von Staatsfeinden? Hatte das was mit Mama zu tun? Durch ihre Flucht war sie zu einer Abtrünnigen geworden, ja, aber ein Feind war meine Mutter bestimmt nicht! Oder arbeitete sie etwa beim Geheimdienst? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Und dann war da noch dieses andere Wort: Jugendwerkhof. Es klang eigentlich so harmlos, doch es war nichts anderes als ein Knast für Kinder. Jeder hier wusste das. Wenn man dort hineingesteckt wurde, kam man nicht wieder raus, bis man achtzehn war.
    Zwei Jahre hinter diesen Mauern sitzen … Aus dem Schwirren in meinem Kopf wurde ein Schwindel.
    »Immerhin kann man Ihnen zugutehalten, dass Ihr Bruder sich in seinem Wehrdienst vorbildlich führt und auch einen einwandfreien Klassenstandpunkt hat.«
    Ich verstand die Worte zwar, aber sie drangen verzerrt an mein Ohr. Und es wurde noch schlimmer. Das, was er dann sagte, ging im Rasen meines Herzens unter, alles drehte sich um mich, in meinen Ohren rauschte es. Ich krallte mich mit der Hand am Stuhl fest, hoffte, dass der Mann vor mir endlich aufhören würde, dass zumindest Herr Neumann einschreiten und ihn endlich zum Schweigen bringen konnte.
    Und dann kam plötzlich die Erlösung. Der Schwindel hörte schlagartig auf, dafür drehte sich mir der Magen um, fest entschlossen, die Unterhaltung zu beenden – wenn es schon mein Verstand und mein Mund nicht konnten. Ein schrecklicher Würgereiz überfiel mich. Ich spürte regelrecht, wie mir die Kotze die

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