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Und morgen bist Du tot

Und morgen bist Du tot

Titel: Und morgen bist Du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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und er lächelte zum ersten Mal seit langer Zeit.
    *
     
    Fünf Minuten später verließ der braune Mercedes mit dem hasenzähnigen Grigore am Steuer den Flughafen, bog auf den Zubringer zur M 23 und dann auf die Autobahn nach Süden in Richtung Brighton and Hove. Marlene Hartmann saß auf dem Beifahrersitz, Rares still auf der Rückbank. Dies war der Beginn seines neuen Lebens, er war aufgeregt. Doch mehr als alles wollte er endlich Ilinca wiedersehen.
    Sie hatten sich erst vor wenigen Wochen unter Küssen, Versprechungen und Tränen voneinander verabschiedet. Und es war auch erst wenige Monate her, dass der rettende Engel Marlene in ihr Leben getreten war.
    Das alles kam ihm vor wie ein Traum.
    Sein wirklicher Name war Rares Petre Florescu, und er war fünfzehn Jahre alt. Irgendwann – wann es genau gewesen war, wusste er nicht mehr, jedenfalls kurz nach seinem siebten Geburtstag –, war seine Mutter vor seinem Vater davongelaufen, weil er trank und sie ständig schlug. Sie hatte Rares mitgenommen. Dann war sie einem anderen Mann begegnet. Dieser Mann wolle keine Familie, hatte sie ihrem Sohn traurig erklärt, deshalb müsse sie ihn in ein Heim geben, wo er viele Freunde finden und unter Menschen sein würde, die für ihn sorgten.
    Zwei Wochen später hatte ihn eine schweigsame alte Frau mit hartem Gesicht vier steinerne Treppen hinaufgeführt. Das Ziel war ein überfüllter, von Ungeziefer wimmelnder Schlafsaal. Seine Mutter hatte sich geirrt. Hier liebte ihn niemand, und keiner sorgte für ihn. Zuerst wurde er von den anderen schikaniert. Irgendwann freundete er sich dann mit gleichaltrigen Kindern an, wenn auch nie mit den älteren Jungen, die ihn regelmäßig verprügelten.
    Das Leben war die Hölle. Jeden Morgen mussten sie patriotische Lieder singen, und wenn einer nicht strammstand, wurde er geschlagen. Mit zehn Jahren fing Rares an, ins Bett zu machen, und bezog auch dafür regelmäßig Prügel. Schließlich lernte er, die älteren Jungen, die größere Rationen zu erhalten schienen, zu bestehlen. Eines Tages erwischte man ihn mit zwei Tafeln Schokolade.
    Um der Bestrafung zu entgehen, lief er weg. Er schloss sich einer Gruppe an, die nachts auf dem Gara de Nord, dem Hauptbahnhof von Bukarest, herumhing, bettelte und Drogen nahm. Sie schliefen, wo gerade Platz war, in Hauseingängen oder winzigen Hütten entlang der Fernheizungsrohre. Manchmal auch in Höhlen unter der Straße.
    Als er die hübsche, verloren wirkende Ilinca in einem dieser Löcher unter der Straße traf, war es für ihn wie ein Erwachen. Für sie lohnte es sich weiterzuleben.
    Sie schleppten ihr Bettzeug tiefer in den Tunnel, der unter dem heißen Rohr verlief, liebten sich und träumten miteinander.
    Sie träumten von einem besseren Leben.
    Von einem Land, in dem sie ihr eigenes Zuhause haben würden.
    Und dann, eines Tages – er hatte gerade einige Flaschen Farbverdünner gestohlen – traf er den Engel, an den er immer geglaubt hatte, auch wenn die Hoffnung gering gewesen war.
    Der Engel hieß Marlene.
    Jetzt saß er auf dem Rücksitz ihres Mercedes und würde bald seine geliebte Ilinca wiedersehen.
    Er war selig.
    Der Wagen hielt in einem Wohngebiet. Alles war so sauber. Es sah aus wie in den reichen Vierteln von Bukarest, in denen er manchmal bettelte.
    Marlene drehte sich um und sagte zu ihm: »Vlad und Grigore werden sich jetzt um dich kümmern.«
    »Bringen sie mich zu Ilinca?«
    »Genau«, antwortete sie, stieg aus und ging zum Kofferraum.
    Rares schaute durch das Fenster. Die Kofferraumklappe wurde geöffnet. Marlene holte etwas heraus, schlug sie wieder zu und ging zu einer Haustür, in der Hand einen Aktenkoffer. Er rechnete damit, dass sie sich noch einmal umdrehen und ihm zuwinken würde, doch sie schaute einfach nur geradeaus.
    Dann fuhr der Mercedes mit einem Ruck an, und er wurde in den Sitz gedrückt.

64
    ROY GRACE SASS im Büro und las die Notizen der letzten Teambesprechung. Trotz des feuchten, grauen Wetters war seine Stimmung sonnig. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zuletzt so glücklich und positiv gefühlt hatte. Er schwebte auf Wolke sieben. Auch dass ACC Vosper bei dem Termin um sieben Uhr noch mürrischer als gewöhnlich gewesen war, hatte seiner guten Laune keinen Abbruch getan.
    Nachmittags hatte er einen Termin bei einem Anwalt, der das Verfahren einleiten sollte, mit dem Sandy offiziell für tot erklärt wurde. Ihm war, als ließe er die Vergangenheit endlich hinter sich, als könnte er die Tür

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