Und morgen bist Du tot
glaube, dass Sandy tot ist, und zwar schon seit langer Zeit. Ich war ein Narr, weil ich mir so lange Hoffnungen gemacht habe.« Er trank noch einen Schluck. »Viele der Medien, bei denen ich war, haben gesagt, sie könnten nicht zu ihr durchdringen, weil sie kein Geist sei. Sie könnten sie in der Geisterwelt nicht finden.«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Wenn sie nicht tot, also kein Geist, ist, muss sie nach ihrer Argumentation noch am Leben sein.« Zu seiner Überraschung bemerkte er, dass er das Glas geleert hatte. »War das ein doppelter?«
Glenn nickte.
»Einen nehme ich noch, einen einfachen, sonst darf ich nicht mehr fahren. Noch ein halbes für dich?«
»Ein ganzes. Ich bin ein großer Junge und vertrage mehr als du!«
Grace kam mit den Getränken zurück und setzte sich. Branson hatte unterdessen das Glas ausgetrunken.
»Du vertraust nicht auf diese Medien? Obwohl du immer an das Übernatürliche geglaubt hast?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Nächstes Jahr ist sie seit zehn Jahren verschwunden. Das ist lang genug. Für mich ist Sandy inzwischen tot, was immer passiert sein mag. Sollte sie noch am Leben sein, wird sie nach zehn Jahren keinen Kontakt mehr zu mir aufnehmen.« Er schwieg einen Moment. »Ich will Cleo nicht verlieren, Glenn.«
»Tolle Frau. Da bin ich ganz deiner Ansicht.«
»Wenn ich mich nicht endlich von Sandy löse, werde ich Cleo verlieren. Und das darf nicht geschehen.«
Glenn berührte das Gesicht seines Freundes sanft mit der Faust. »Das ist das erste Mal, dass du so vernünftig redest.«
Grace nickte. »Es ist auch das erste Mal, dass ich so empfinde. Ich habe meinen Anwalt angewiesen, alle Vorbereitungen zu treffen, damit ich sie offiziell für tot erklären lassen kann.«
Glenn schaute ihn eindringlich an. »Kumpel, du weißt, dass es nicht nur um ein rechtliches Verfahren geht. Der geistige Prozess ist am wichtigsten, nicht wahr?«
»Wie meinst du das?«
Glenn tippte sich an den Kopf. »Es muss auch hier oben ankommen.«
»Das ist es«, sagte Grace und lächelte schief. »Vertrau mir, ich bin ein Bulle.«
81
DR. ROSS HUNTER saß auf Caitlins Bettkante, während Lynn unten in der Küche Tee für ihn kochte.
In dem chaotischen Zimmer war es stickig und roch unangenehm nach Caitlins Schweiß. Er spürte die klamme Hitze, die von ihr ausging, als er ihr gelbes Gesicht und die dunklen Ringe unter ihren Augen betrachtete. Ihr Haar war verfilzt. Sie trug einen rosa Morgenmantel über dem Nachthemd und hatte einige Kissen im Rücken. Die Kopfhörer hingen um ihren Hals, und auf der Bettdecke lag ein kleiner weißer iPod neben einem Taschenbuch und einigen Teddybären.
»Wie fühlst du dich, Caitlin?«
»Ich habe Glitzer bekommen«, murmelte sie leise.
»Glitzer?« Er runzelte die Stirn.
»Jemand hat mir bei Facebook Glitzer geschickt.«
»Was genau meinst du damit?«
»Ach, das hat eben mit Facebook zu tun. Ich hab’s von meiner Freundin Gemma bekommen. Und Mitzi hat mich als Freundin hinzugefügt.«
»Aha.« Er wirkte belustigt.
»Mitch Symons hat mir Räder geschickt, damit ich mobiler bin.«
Der Arzt schaute sich im Zimmer um und suchte nach den Rädern. Er entdeckte eine Dartscheibe, über der eine violette Boa hing. Ein Saxophonkasten lehnte an der Wand. Dann bemerkte er ein winziges Spielzeugpferd auf Rädern, das inmitten der verstreuten Schuhe auf dem Teppich lag.
»Meinst du diese Räder?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte sie und wedelte mit der rechten Hand, als wollte sie einen Gedanken aus ihrem Kopf hervorzaubern. »Das hat auch mit Facebook zu tun. Damit man mobil ist. Sie sind virtuell.«
Ihr fielen die Augen zu, als hätte das Sprechen sie erschöpft.
Hunter beugte sich vor und öffnete seine Tasche. In diesem Augenblick kam Lynn mit der Teetasse herein, auf deren Untertasse ein Vollkornkeks lag.
Er bedankte sich und konzentrierte sich wieder auf Caitlin.
»Ich möchte deine Temperatur und deinen Blutdruck messen, in Ordnung?«
»Egal«, flüsterte sie mit geschlossenen Augen.
*
Zehn Minuten später gingen er und Lynn gemeinsam die Treppe hinunter. In der Küche setzten sie sich an den Tisch. Noch bevor er den Mund aufmachte, wusste Lynn, was er ihr sagen würde. Sein besorgtes Gesicht sprach Bände.
»Lynn, ich mache mir große Sorgen um Caitlin. Sie ist sehr krank.«
Sie hatte Tränen in den Augen und war versucht, sich ihm anzuvertrauen. Aber sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde. Er war
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