Und morgen bist Du tot
Großbritannien geschleust werden soll. Noch heute Abend oder morgen. Seine Kollegin hat mir einige Polizeifotos des Mädchens geschickt. Sie wurden vor zwei Jahren bei einem Ladendiebstahl aufgenommen. Damals gab sie ihr Alter mit zwölf an. Ich habe sie gerade ausgedruckt. Geben Sie mir ein paar Minuten?«
»Nur zu.«
Potting verließ erneut den Raum.
»Falls DS Batchelor und DS Boutwood mit ihrem Verdacht bezüglich Sir Roger Sirius recht haben, sollten wir ihn überwachen lassen. Er könnte uns zu der fraglichen Klinik führen«, schlug DI Mantle vor.
Grace nickte. »Ausgezeichnete Idee. Wissen wir, wie viele Leute die DIU dafür abstellen kann?«
»Es läuft gerade eine größere Operation, könnte schwierig werden«, erwiderte Mantle.
Die Divisional Intelligence Unit war für verdeckte Ermittlungen zuständig. Sie konzentrierte sich auf Drogen, wurde aber zunehmend auch im Bereich des Menschenhandels tätig.
Nach wenigen Minuten kam Potting zurück und verteilte Kopien der rumänischen Polizeifotos, auf denen Simona von vorn und in beiden Profilen zu sehen war.
»Laut Ian Tilling wurde das Mädchen heute von einer Deutschen an seiner Unterkunft abgeholt. Die Frau bringt sie angeblich nach England, um ihr dort ein neues Leben zu bieten. Von wegen! Es geht wohl eher um das neue Leben eines anderen. «
»Hübsches Mädchen«, bemerkte Lizzie Mantle.
»Als Kanu sieht sie nicht mehr so hübsch aus«, sagte Potting.
»Kanu« nannte man im ruppigen Polizeijargon eine Leiche, deren Organe bei der Autopsie entfernt worden waren.
Grace holte aus einem Umschlag Fotos von Marlene Hartmann, die mit Teleobjektiv aufgenommen worden waren, und ließ sie herumgehen.
»Die habe ich auch von den Kollegen in München. Meinen Sie, das könnte die Frau sein, Norman?«
Potting schaute sie prüfend an. »Das ist ja eine Sahneschnitte, Roy! Jetzt kann ich verstehen, warum Sie nach München geflogen sind.«
Grace ignorierte den Kommentar und sagte: »Bald ist Weihnachten. Nach meiner Erfahrung möchten die meisten Leute ihre Geschäfte gerne vor den Weihnachtsferien erledigen. Falls dieses Mädchen heute oder morgen ins Land kommt und wegen seiner Organe getötet werden soll, wird das bald nach der Einreise geschehen. Wir brauchen unbedingt mehr Informationen über diese Lynn Beckett. Was Norman uns geliefert hat, dürfte für eine Telefonüberwachung ausreichen.«
Er sah auf die Uhr. »Bis Mitternacht müssen wir die Zustimmung bekommen und das Telefon angezapft haben.«
»Die Frau und das Mädchen könnten bereits im Land sein, Sir«, sagte Guy Batchelor.
»Ja, das ist richtig. Dennoch sollten wir alle Grenzübergänge im Auge behalten. Der Flughafen Gatwick ist am wahrscheinlichsten, aber wir müssen auch Heathrow abdecken, ebenso den Kanaltunnel und die Fährhäfen. Ich rufe Bill Warner in Gatwick an, damit er alle Flüge aus Bukarest und anderen denkbaren Abflugorten im Auge behält. Leider haben wir eine lange Nacht vor uns. Ich möchte morgen nicht die nächste Leiche finden.«
95
NA, KOMM SCHON, komm schon, komm schon! Verfluchter Verkehr! Dieser verfluchte Verkehr!
Ian Tilling drückte auf die Hupe, aber es hatte keinen Zweck. Im Berufsverkehr verwandelte sich das gesamte Zentrum von Bukarest samt Vororten in einen einzigen Stau. An diesem Abend machte der Schnee alles noch schlimmer, so dass sich die Rushhour bis weit in den Abend ausdehnte.
Der einzige Trost war, dass der Wagen, in dem Simona saß, ebenfalls feststeckte.
Subcomisar Radu Constantinescu, du verdammtes faules Schwein, dachte Tilling und wischte erneut die beschlagene Scheibe sauber. Die Rücklichter einer langgestreckten Hummer-Stretch-Limousine verschwammen zu roten Flecken. Seit vierzig Minuten versuchte er, den mächtigsten Polizeibeamten, den er in Bukarest kannte, über Festnetz und Handy zu erreichen. Auf beiden Leitungen klingelte es endlos, doch es meldete sich kein Anrufbeantworter. War der Mann schon nach Hause gegangen? Saß er in einer Besprechung? Oder hockte er stundenlang auf dem Scheißhaus?
Er war sich ziemlich sicher, dass die deutsche Frau das Mädchen zu einem der beiden internationalen Flughäfen von Bukarest bringen würde. Er hatte es zunächst auf dem größeren, Otopeni, versucht, aber sie waren nicht da. Nun kämpfte er sich zum zweiten Flughafen durch. Er musste dringend mit dem Subcomisar sprechen, damit er die beiden daran hinderte, das Land zu verlassen.
Die Autos krochen zentimeterweise voran und blieben
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