Und morgen bist Du tot
wieder stehen. Tilling bremste scharf, sonst wäre er auf den Hummer aufgefahren. Allmählich ging das Benzin zur Neige, und die Temperaturanzeige stand gefährlich hoch. Wieder wählte er Constantinescus Nummer, und diesmal meldete er sich zu Tillings Überraschung gleich beim ersten Klingeln.
»Ja?«, knurrte er.
»Hier spricht Ian Tilling. Wie geht es Ihnen?«
»Mr Ian Tilling, mein Freund. Member of the British Empire für seine Verdienste um die Obdachlosen Rumäniens! Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Sie müssten mir dringend einen Gefallen tun.«
Tilling hörte ein heftiges Saugen. Vermutlich zündete sich der Mann gerade die neue Zigarette an der alten an. Er schilderte ihm kurz und bündig die Lage.
»Sie kennen den Namen der deutschen Frau?«
»Die englische Polizei sagt, sie heißt Marlene Hartmann.«
»Der Name sagt mir nichts.« Der Polizeibeamte brach in einen bellenden Husten aus. Danach fragte er: »Und wie heißt das Mädchen?«
»Simona Irimia. Wissen Sie noch, ich hatte Sie gebeten, den Namen zu überprüfen. Ich hatte gehofft, Sie könnten sie für mich identifizieren.«
»Ach so.«
Zu seinem Missfallen hörte Tilling, wie eine Schreibtischschublade geöffnet wurde. Vermutlich jene Schublade, in die der Subcomisar die drei rekonstruierten Fotos und die Fingerabdrücke gelegt hatte, die er auf Tillings Wunsch hatte herumschicken sollen. Er hatte sie offensichtlich vergessen, wie all die anderen Sachen, die für ihn nicht sonderlich wichtig waren.
»Könnten Sie den Namen Marlene Hartmann buchstabieren, Mr Wichtig?«
Tilling gehorchte geduldig und lieferte dann mit Hilfe von Raluca eine detaillierte Beschreibung des Mädchens.
»Ich rufe sofort am Flughafen an«, versicherte Constantinescu. »Es dürfte nicht weiter schwer sein, die beiden aufzufinden, entweder am Schalter oder bei der Passkontrolle. Ich werde die Flughafenpolizei bitten, die Frau wegen mutmaßlichen Organhandels zu verhaften. Sind Sie auf dem Weg dorthin?«
»Das bin ich.«
»Dann rufe ich Sie zurück und gebe Ihnen den Namen des Polizeibeamten durch, der Ihnen dort weiterhilft.«
»Ich danke Ihnen, Radu. Das weiß ich wirklich zu schätzen.«
»Wir müssen demnächst einen trinken gehen und Ihr Lametta feiern, einverstanden?«
»Und ob!«
Je weiter der Mercedes die Stadt hinter sich ließ, desto dünner wurde der Verkehr. Wieder einmal schaute Marlene Hartmann aus dem Rückfenster. Zu ihrer Erleichterung verschwanden die Scheinwerfer des Wagens, der in den vergangenen vierzig Minuten hinter ihnen gewesen war, in der verschneiten Dunkelheit.
Simona legte das Gesicht an die kalte Scheibe, drückte Gogu an die Wange und schaute durch den Schnee hindurch auf die leere, dunkle, endlose Mondlandschaft.
Marlene Hartmann lehnte sich zurück, öffnete den Laptop und las E-Mails. Sie hatten eine lange Fahrt vor sich.
96
NORMALERWEISE MOCHTE LYNN die Wintermonate nicht, weil sie dann erst im Dunkeln aus dem Büro kam. An diesem Abend war sie jedoch froh über die Dunkelheit, denn Reg Okuma parkte ein Stück weiter an der Straße. Sie hörte schon aus fünfzig Metern Entfernung die Musik, die aus seinen riesigen Lautsprechern dröhnte, zusammen mit dem Knattern des Doppelauspuffs, der die Größe von Abflussrohren hatte.
Es war ein alter 3er BMW in einem hässlichen Dunkelbraun, aber mit getönten Scheiben. Vermutlich ließ er den Motor laufen, damit dem Verstärker nicht der Saft ausging.
Die Tür sprang auf, und sie zögerte einen Moment, fragte sich, ob sie nicht einen furchtbaren Fehler beging. Aber sie brauchte dringend das Geld, das er ihr versprochen hatte. Sie schaute sich um, ob keine Kollegen auf der Straße waren, glitt auf den Beifahrersitz und schloss rasch die Tür.
Von innen war der Wagen noch scheußlicher als von außen. Die Bässe der Lautsprecher, aus denen ein grauenhafter Rap drang, erschütterten ihren ganzen Körper. Am Rückspiegel baumelten Plüschwürfel, die ebenfalls im Rhythmus bebten. Auf dem Armaturenbrett befand sich eine blaue Lichterkette, die sie im ersten Augenblick für eine Weihnachtsdekoration hielt. Aber nein, vermutlich fand Reg Okuma so etwas einfach cool. Und der Gestank seines Eau de Toilette war noch überwältigender als die Musik.
Die angenehme Überraschung war der Besitzer des Wagens selbst.
Lynn machte sich im Geiste immer ein Bild von ihren Klienten, und Reg Okuma war für sie eine Mischung aus Robert Mugabe und Hannibal Lecter gewesen. Im Licht der
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