Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und morgen bist Du tot

Und morgen bist Du tot

Titel: Und morgen bist Du tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
Vom Netzwerk:
Beyoncé aussehen und wie sie singen. Eines Tages würde sie in einem richtigen Haus leben.
    Romeo sagte, sie sei schön und werde eines Tages reich und berühmt sein.
    Das Baby weinte wieder und stank nach Scheiße. Antonio, Valerias acht Monate alter Sohn. Mit ihrer aller Hilfe hatte Valeria es geschafft, ihn vor den Behörden zu verstecken, sonst hätte man ihr das Kind weggenommen.
    Valeria, die viel älter war als alle anderen, war einmal hübsch gewesen. Nun, mit achtundzwanzig, hatte sie das ausgezehrte, faltige Gesicht einer alten Frau. Sie hatte langes, glattes braunes Haar und tote Augen, die einmal sinnlich geblickt hatten. Sie trug bunte Klamotten, eine smaragdgrüne Steppweste über einem Jogginganzug in Türkis, Gelb und Rosa, dazu rote Plastiksandalen. Die Kleidung stammte wie fast alles, was sie trugen, aus dem Müll der besseren Stadtviertel oder der Kleiderkammer.
    Sie wiegte ihr Baby, das in einen alten, pelzgefütterten Wildledermantel gehüllt war. Das Geschrei des verdammten Babys war nervtötender als die ständige Musik. Simona wusste, dass es vor Hunger schrie. Sie alle waren hungrig, jedenfalls meistens. Sie aßen, was sie stahlen oder vom erbettelten Geld kauften. Manchmal verkauften sie auch alte Zeitungen oder klauten den Touristen Handtaschen und Portemonnaies. Die erbeuteten Handys machten sie ebenfalls zu Geld.
    Romeo konnte schnell rennen, höllisch schnell! Er hatte blaue Augen, groß wie Untertassen, ein süßes, unschuldiges Gesicht, kurzes schwarzes Haar und eine verkrüppelte Hand. Er wusste nicht, wie alt er war. Vielleicht vierzehn. Oder auch dreizehn. Simona wusste auch nicht, wie alt sie war. Jedenfalls hatte die Sache, von der Valeria erzählt hatte, noch nicht angefangen. Daher schätzte Simona sich selbst auf zwölf oder dreizehn. Im Grunde war es ihr sowieso egal.
    Sie wollte nur, dass diese Menschen, ihre Familie, sie mochten. Und sie freuten sich immer, wenn sie und Romeo Essen, Geld oder, besser noch, beides besorgten. Manchmal auch Batterien. Dann kehrten sie zurück in den Gestank von Schwefel, Staub, ungewaschenen Körpern und Babykacke. Nichts war vertrauter als diese Gerüche.
    Irgendwo im Nebel ihrer Vergangenheit hatte es Glöckchen gegeben. Glöckchen, die von einem Mantel oder einem Jackett hingen, das ein großer Mann mit einem Stock trug. Sie musste sich dem Mann nähern und seine Brieftasche stehlen, ohne dass die Glöckchen läuteten. Wenn nur ein einziges klingelte, schlug er sie mit dem Stock auf den Rücken. Nicht nur einmal, sondern fünfmal, zehnmal, sie zählte nicht mehr mit. Meist wurde sie ohnmächtig, bevor er mit ihr fertig war.
    Jetzt aber war sie gut. Sie und Romeo waren ein tolles Team. Sie und Romeo und der Hund. Der braune Hund, der ihr Freund geworden war und unter einem kaputten Zaun am Straßenrand genau über ihnen lebte. Sie in ihrer blauen Steppweste und dem bunten Jogginganzug, Wollmütze und Turnschuhen, Romeo in Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen und der Hund, den sie Artur genannt hatten.
    Romeo hatte ihr beigebracht, welche Touristen sich am besten eigneten. Ältere Ehepaare. Sie gingen zu dritt auf sie zu, den Hund an einem Stück Kordel. Romeo streckte den verkrüppelten Arm aus. Wenn die Touristen angewidert zurückwichen und sie verscheuchten, befand sich die Brieftasche des Mannes schon in Simonas Weste. Griff der Mann in die Tasche, um ihnen ein paar Münzen zu geben, entwendete sie geschickt das Portemonnaie aus der Handtasche der Frau. Saßen die Leute in einem Café, schnappten sie sich Handy oder Kamera vom Tisch und rannten davon.
    Die Musik veränderte sich. Jetzt sang Rihanna.
    Rihanna mochte sie auch.
    Das Baby verstummte.
    Heute war ein schlechter Tag gewesen. Keine Touristen. Kein Geld. Nur ein bisschen Brot, das sie miteinander teilten.
    Simona schloss die Lippen um die Öffnung der Plastiktüte, atmete aus und gierig wieder ein.
    Erleichterung. Die Erleichterung kam immer.
    Aber keine Hoffnung.

12
    ES WAR Viertel vor sechs, und Lynn saß zum dritten Mal an diesem Tag im Wartezimmer eines Arztes, diesmal beim Gastroenterologen. Durch das Erkerfenster blickte man auf die ruhige Straße in Hove. Es war dunkel, die Straßenbeleuchtung brannte. Auch in ihrem Inneren war es dunkel. Dunkel und kalt, sie hatte Angst. Das Wartezimmer mit den abgenutzten Möbeln erinnerte an die Einrichtung bei Dr. Hunter und trug nicht gerade dazu bei, ihre düstere Stimmung zu heben. Das Licht war gedämpft. Aus Caitlins Kopfhörern

Weitere Kostenlose Bücher