Und morgen bist Du tot
sagen.«
»Wochen? Monate?«
»Höchstens ein paar Monate. Aber falls Caitlins Leber weiterhin in diesem Tempo versagt, dann auch viel weniger.«
Es herrschte langes Schweigen. Lynn schaute in ihren Schoß. Schließlich fragte sie ganz leise: »Ross, ist eine Transplantation riskant?«
»Ich würde lügen, wenn ich nein sagte. Das größte Problem besteht darin, eine passende Leber zu finden. Es gibt einfach zu wenige Spender.«
»Sie hat eine seltene Blutgruppe, nicht wahr?«
Er warf einen Blick in seine Unterlagen. »AB negativ. Ja, das ist selten, etwa 2 Prozent der Bevölkerung haben diese Gruppe.«
»Ist die Blutgruppe wichtig?«
»Ja, aber ich weiß nicht, wie die genauen Kriterien aussehen. Eine Kreuzprobe könnte Aufschluss darüber geben.«
»Was ist mit mir? Könnte ich nicht meine Leber spenden?«
»Eine Teilspende ist denkbar, wenn man einen der Leberlappen verwendet. Aber dazu müssten Ihre Blutgruppen übereinstimmen. Außerdem glaube ich nicht, dass Ihre Leber groß genug ist.«
Er ging einige Karteikarten durch. »Sie haben Blutgruppe A positiv. Ich weiß nicht recht.« Er lächelte düster und hilflos. »Das wird Ihnen Dr. Granger genauer erklären können. Und auch, ob Ihr Diabetes eine Rolle dabei spielt.«
Es machte ihr Angst, dass der Mann, dem sie so vertraute, auf einmal ratlos und verloren wirkte.
»Na toll«, sagte sie bitter. Der Diabetes war ein unwillkommenes Andenken an das Ende ihrer Ehe. Typ 2, später Ausbruch, durch Stress verursacht, wie Dr. Hunter ihr erklärt hatte. Daher hatte sie sich noch nicht einmal mit Fressorgien trösten können. »Caitlin muss also warten, bis jemand stirbt, der die richtige Blutgruppe hat. Ist es das, was Sie mir sagen wollen?«
»Vermutlich schon. Außer es gibt ein Familienmitglied oder einen engen Freund, der als Spender in Frage käme und bereit wäre, einen Teil seiner Leber zur Verfügung zu stellen.«
Lynn sah wieder einen Hoffnungsschimmer. »Wäre das möglich?«
»Die Größe ist ein wichtiger Faktor. Es müsste ein sehr großer Mensch sein.«
Der einzige große Mensch, der ihr spontan einfiel, war Mal. Doch sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder, als ihr einfiel, dass Mal sich vor Jahren mit Hepatitis B angesteckt hatte, so dass er als Spender nicht in Frage kam.
Lynn rechnete rasch im Kopf. In Großbritannien lebten 65 Millionen Menschen. Etwa 45 Millionen davon waren Jugendliche und Erwachsene. Also wären zwei Prozent etwa 900000 Menschen. Das war eine Menge. Vermutlich starben jeden Tag Menschen mit der Blutgruppe AB negativ.
»Wir wären in einer Warteschlange, oder? Wie die Geier. Wir müssen warten, bis jemand stirbt. Und wenn Caitlin bei der Vorstellung völlig ausrastet? Sie wissen doch, wie sie ist. Sie meint, man dürfe überhaupt kein Lebewesen töten. Sie bekommt schon zu viel, wenn ich in der Küche eine Fliege erschlage!«
»Ich denke, Sie sollten mit ihr zusammen in die Praxis kommen. Ich kann heute Nachmittag gern mit ihr reden. Vielen Familien hilft es, Organe ihrer Angehörigen zu spenden. So gewinnt deren Tod für sie einen Sinn, einen Wert. Soll ich versuchen, es ihr auf diese Weise zu erklären?«
Lynn umklammerte die Sessellehnen und versuchte, ihr Entsetzen zu unterdrücken. »Ich fasse es nicht, dass ich so denke, Ross. Ich war nie ein gewalttätiger Mensch. Und jetzt sitze ich hier und wünsche mir, dass irgendwo irgendein Fremder stirbt.«
6
DURCH DEN UNFALL staute sich der morgendliche Berufsverkehr in der Coldean Lane schon fast bis zum Fuß der Anhöhe. Links breitete sich die städtische Wohnsiedlung Moulescomb aus, rechts befand sich hinter einer von Bäumen gesäumten Mauer der Stanmer Park, eine der größten Grünflächen der Stadt.
PC Ian Upperton steuerte den BMW vorsichtig am Heck des Busses vorbei, der das Ende der Schlange bildete, bis er die Straße vor sich einsehen konnte. Dann wechselte er auf die Gegenfahrbahn.
PC Tony Omotoso saß schweigend neben ihm und hielt die Autoschlange im Auge, falls jemand ungeduldig werden und so dumm sein sollte, einen Überholversuch zu starten oder zu wenden. Viele Fahrer waren abgelenkt oder hatten die Musik zu laut gestellt, um die Sirene zu hören. Manche fummelten im Rückspiegel an ihrer Frisur herum. Er war angespannt vor Sorge, wie immer, wenn sie auf dem Weg zu einem Verkehrsunfall waren. Man wusste nie, was einen erwartete.
Bei schweren Unfällen verwandelten sich die Autos in tödliche Fallen, spießten oder schlitzten die
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