Und morgen in das kühle Grab
von ihren Schmerzen, soweit es
menschenmöglich war, befreit zu werden, und um einen
friedlichen Tod zu finden, umgeben von ihren Lieben und
hingebungsvoll gepflegt von Menschen, die auch später
zur Stelle sein würden, um den Hinterbliebenen Trost zu
spenden.
Die Schwester am Empfang war zwar etwas erstaunt,
dass ich ohne Terminabsprache mit dem Direktor zu
sprechen wünschte, aber sie wies mich nicht ab. Ohne
Zweifel vermochte die bloße Erwähnung der Wall Street
Weekly viele Türen zu öffnen. Ich wurde sogleich zum
Büro von Dr. Katherine Clintworth geleitet, einer
attraktiven Frau Anfang fünfzig mit langen rotblonden
Haaren, die sie offen trug. Ihre Augen waren das
Auffälligste an ihr – sie waren winterblau, wie die Farbe
des Wassers an einem sonnigen Januartag. Sie trug eine
lässige Strickjacke und dazu passende Hosen.
Inzwischen war meine Entschuldigung für den
unangemeldeten Besuch, gefolgt von der Erläuterung, dass
ich an einer Titelgeschichte für die Wall Street Weekly arbeite, schon gut eingeübt. Dr. Clintworth winkte mit
einer Handbewegung ab.
»Ich beantworte Ihnen gerne Fragen über Nicholas
Spencer«, sagte sie. »Ich habe ihn sehr bewundert. Wie
Sie sicher verstehen werden, wünschen wir uns alle hier
nichts sehnlicher, als dass endlich ein Mittel gegen Krebs
gefunden würde und wir keine Hospize mehr brauchten.«
»Wie lange hat Nicholas Spencer hier schon als
Ehrenamtlicher gearbeitet?«, fragte ich.
»Seitdem seine Frau Janet vor über fünf Jahren
gestorben ist. Sie hätte auch zu Hause betreut werden
können, aber weil sie ein fünfjähriges Kind hatte, hielt sie
es für besser, ihre letzten Tage bei uns zu verbringen. Nick
war sehr dankbar für die Hilfe, die wir leisteten, und dafür,
wie wir nicht nur Janet, sondern auch ihn, seinen Sohn und
Janets Eltern unterstützten. Ein paar Wochen später ist er
zu uns gekommen und hat uns seine Dienste angeboten.«
»Es muss einigermaßen schwierig gewesen sein, ihn
einzuplanen, angesichts der vielen Zeit, die er auf Reisen
war«, warf ich ein.
»Er gab uns immer einige Wochen im Voraus eine Liste
mit den Terminen, an denen er verfügbar war. So konnten
wir uns darauf einstellen. Die Menschen mochten Nick
sehr.«
»Dann hat er also zu dem Zeitpunkt, als sein Flugzeug
abstürzte, immer noch im Hospiz gearbeitet?«
Sie zögerte. »Nein. Er war seit ungefähr einem Monat
nicht mehr da gewesen.«
»Gab es einen Grund dafür?«
»Ich habe ihm vorgeschlagen, eine Zeit lang aufzuhören.
Er machte in den letzten Wochen den Eindruck, als stehe
er unter einem irrsinnigen Druck.« Sie schien ihre Worte
sorgfältig abzuwägen.
»Was für eine Art von Druck war das?«, fragte ich.
»Er war ungeheuer angespannt und nervös. Ich sagte
ihm, es würde ihn psychisch zu sehr belasten, den ganzen
Tag an dem Impfstoff zu arbeiten und anschließend
hierher zu kommen und mit den Patienten zusammen zu
sein, die ihn ständig anflehten, er möge das Mittel an
ihnen ausprobieren.«
»War er damit einverstanden?«
»Ich weiß nicht, ob er einverstanden war, aber ich würde
sagen, er hatte zumindest Verständnis für meinen
Standpunkt. Er ging an diesem Abend nach Hause, und
das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.«
Ich spürte plötzlich all die Gedanken, die
unausgesprochen blieben, bleischwer im Raum lasten.
»Dr. Clintworth, hat Nicholas Spencer den Impfstoff je an
einem der Patienten getestet?«
»Das hätte gegen das Gesetz verstoßen«, entgegnete sie
mit Nachdruck.
»Das war nicht die Frage. Dr. Clintworth, ich gehe auch
dem Verdacht nach, ob Nicholas Spencer das Opfer übler
Machenschaften wurde. Ich bitte Sie, mir aufrichtig zu
antworten.«
Sie zögerte und gab schließlich nach. »Ich bin davon
überzeugt, dass er den Impfstoff einem der Patienten hier
verabreicht hat. Ich bin sogar sicher, dass es geschehen ist,
auch wenn der besagte Patient dies abstreitet. Es gibt noch
jemanden, der ihn vermutlich erhalten hat, aber auch in
diesem Fall wurde das kategorisch abgestritten.«
»Was ist mit der Person geschehen, von der Sie mit
Sicherheit annehmen, dass sie den Impfstoff erhalten hat?«
»Sie ist entlassen worden.«
»Sie ist geheilt ?«
»Nein, aber meines Wissens ist bei dieser Person eine
spontane Besserung eingetreten. Das Fortschreiten der
Krankheit hat sich dramatisch verlangsamt, was durchaus
vorkommt, allerdings nur äußerst selten.«
»Sind Sie auf dem Laufenden über
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