Und morgen in das kühle Grab
das nicht alles ein totales Verwirrspiel ist –
die Tatsache, dass Vivian Powers mich angerufen hat, um
mir zu sagen, dass sie jetzt zu wissen glaubt, wer der
Mann mit dem rötlichen Haar ist, könnte bedeuten, dass
sie für irgendjemanden zu einer Bedrohung geworden ist.«
Ken nickte. »Tu das. Ich werde meinerseits ein paar
Beziehungen spielen lassen. Es kann nicht sehr viele Leute
geben, die zum Sterben ins St. Ann’s Hospiz gegangen
sind und es dann später wieder verlassen haben. Es dürfte
nicht allzu schwer sein, diesen Patienten zu
identifizieren.«
Ich war immer noch neu in diesem Job. Ken war der
Dienstälteste bei dieser Titelgeschichte. Trotzdem musste
ich es sagen: »Ken, wenn du ihn ausfindig gemacht hast,
würde ich gerne dabei sein, wenn du mit ihm redest.«
Ken dachte einen Moment nach und nickte dann. »Das
lässt sich machen.«
Ich habe einen ziemlich guten Orientierungssinn. Diesmal
brauchte ich keinen Stadtplan, um den Weg zu Vivians
Haus zu finden. Ein einsamer Polizist stand an der Haustür
und taxierte mich misstrauisch. Ich erläuterte ihm, dass ich
Vivian Powers am Vortag besucht und einen Telefonanruf
von ihr erhalten hatte.
»Ich werde das überprüfen«, antwortete er. Er
verschwand im Haus und kam nach kurzer Zeit zurück.
»Detective Shapiro sagt, Sie dürfen reinkommen.«
Detective Shapiro stellte sich als ein gedämpft
sprechender, gebildet aussehender Mann heraus mit einer
hohen Stirn und klaren, braunen Augen. Er setzte mir in
aller Kürze auseinander, dass die Ermittlungen erst am
Anfang stünden. Die Eltern von Vivian Powers seien
benachrichtigt worden und hätten angesichts der
Umstände ihr Einverständnis gegeben, dass die Polizei das
Haus betrat. Die Tatsache, dass die Haustür offen stand,
die Lampe und der Tisch umgestürzt waren und ihr Auto
immer noch in der Auffahrt stand, ließ sie befürchten, dass
ihre Tochter einer Gewalttat zum Opfer gefallen sein
könnte.
»Sie waren gestern hier, Miss DeCarlo?«, vergewisserte
sich Shapiro.
»Ja.«
»Es ist mir klar, dass es nicht ganz einfach ist, angesichts
der vielen Umzugskartons: Aber können Sie irgendeine
Veränderung in den Räumen erkennen, seitdem Sie
gestern hier waren?«
Wir standen im Wohnzimmer. Ich schaute mich um und
konnte mich im ersten Moment lediglich an genau diese
gepackten Kartons und leeren Tische erinnern, die ich jetzt
auch erblickte. Plötzlich bemerkte ich jedoch, dass sich
tatsächlich etwas verändert hatte. Auf dem Couchtisch
stand ein Karton, der sich gestern nicht dort befunden
hatte.
Ich deutete darauf. »Dieser Karton«, sagte ich.
»Entweder hat sie ihn gepackt, nachdem ich gegangen
war, oder sie hat ihn noch mal durchgesehen, aber der
stand nicht da.«
Detective Shapiro ging zu dem Karton und holte den
zuoberst liegenden Ordner heraus. »Sie hat für Gen-stone
gearbeitet, nicht wahr?«, fragte er.
Ich äußerte ihm gegenüber nur die absolut sicheren
Informationen und behielt die bloßen Vermutungen für
mich. Ich konnte mir den Ausdruck auf dem Gesicht des
Detective vorstellen, wenn ich gesagt hätte: »Vivian
Powers könnte ihr Verschwinden nur vorgetäuscht haben,
weil sie irgendwo ein Treffen mit Nicholas Spencer
arrangiert hat, dessen Flugzeug abgestürzt ist und der
allgemein für tot gehalten wird.« Oder hätte er es
einleuchtender gefunden, wenn ich gesagt hätte:
»Ich neige immer mehr zu der Ansicht, dass Nicholas
Spencer das Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, dass
ein Arzt in Caspien überfahren wurde, weil er
Aufzeichnungen über Laborexperimente bei sich
aufbewahrte, und dass Vivian Powers verschwunden ist,
weil sie den Mann identifizieren konnte, der diese
Aufzeichnungen geholt hat.«
Stattdessen begnügte ich mich mit der Auskunft, dass
ich Vivian Powers interviewt hatte, weil ich für eine
Titelgeschichte über ihren Chef Nicholas Spencer
recherchiere.
»Sie hat danach bei Ihnen angerufen, Miss DeCarlo?«
Detective Shapiro ahnte vermutlich, dass ich ihm einen
Teil der Geschichte vorenthielt.
»Ja. Ich hatte mit Vivian darüber gesprochen, dass
Aufzeichnungen über Laborexperimente, die Nicholas
Spencer gehörten, verschwunden waren. Soweit ihr
bekannt war, hatte ein Mann, der vorgab, im Auftrag von
Spencer zu kommen, sie an sich genommen. Nach der
kurzen Nachricht zu urteilen, die sie auf meinem
Anrufbeantworter hinterlassen hat, könnte sie mittlerweile
imstande sein, diesen Mann zu
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