Und morgen seid ihr tot
Stangen von der Fahrbahn gehebelt werden mussten. Hier wird verbissen und hektisch gearbeitet. Die Anführer ermahnen die Männer, keinen unnötigen Lärm zu machen.
Der Hirte bindet sein Tuch an den Kühler des Jeeps und will es als Abschleppseil nutzen. Ich traue meinen Augen nicht, aber trotzdem schaffen sie es auf diese Weise, den Wagen wieder aufzurichten. Als der Motor endlich läuft, wird die Heckklappe aufgerissen, und die fremden Männer stoßen uns in den Kofferraum. Wo sind Junkie und Geißenpeter? Der Koch und die anderen?
Die Heckklappe fällt zu. Wir sitzen im Finstern, es riecht nach Ziegenmist und Urin. Und ich spüre eine Welle von Panik, die mich fortspült, die mir den Boden unter den Füßen wegreißt. Ich wünsche mir plötzlich Junkie, unseren Entführer, zurück. Was werden diese Männer, die uns gekauft haben, mit uns machen? Ich denke an die Gräueltaten, von denen aus dieser Region berichtet wird. Bilder aus den Kriegsgebieten schießen mir durch den Kopf. Von verstümmelten, gefolterten Gefangenen, von Entführungsopfern, die, den Koran in der Hand, durch Genickschuss liquidiert werden.
Doch dann steigen »unsere« fünf Männer in den Jeep, und ich bin tatsächlich ein wenig beruhigt. Man schiebt die Panzerfaust zu uns nach hinten, die Fahrt geht los.
7. JULI
Seit einer Woche träumen wir davon, endlich wieder ein festes Dach über den Kopf zu bekommen, uns zu duschen, in einem Bett zu schlafen – wenn wir schon nicht in unserem Bus schlafen dürfen – und vor allem: mit unseren Eltern zu telefonieren. Unsere ganze Hoffnung ist auf diese Vorstellung konzentriert, als wäre alles andere nebensächlich. Vielleicht auch dies ein Trick unserer Psyche, um uns den Blick auf die Ausweglosigkeit unserer Lage zu verstellen.
Immer wieder haben wir mit den Entführern geredet, immer wieder ist uns ein Haus mit allem Komfort und Internetzugang versprochen worden. Komischerweise haben wir nie darüber nachgedacht, wie unrealistisch das ist. Die Männer können uns ja unmöglich Mails schreiben oder in einer Sprache reden lassen, die sie nicht verstehen. Oder sind sie so sicher, dass wir keine Ahnung haben, wer sie sind, wo wir sind … Inzwischen hat das Auto angehalten, und Junkie sagt uns, wir sollen ein wenig schlafen, wir seien praktisch da. Warum gehen wir nicht rein, wenn wir da sind? Es ist finster, kein Laut dringt in den Wagen. Ich sitze mit David auf der Rückbank und tue, wie mir geheißen: Ich schlafe.
Als Junkie uns weckt, ist es fünf Uhr, der Morgen graut. Wir erreichen ein niedriges Gebäudeensemble an einem ausgetrockneten Flussbett und schlüpfen in einen engen Raum, nicht viel mehr als ein Verschlag. »Ein Saustall«, sagt David. Tatsächlich riecht es nach Tier und Exkrementen. Schmutziges Stroh liegt am Boden, die Wände sind verdreckt, aber Tiere gibt es keine. Nur uns beide und die Entführer. Sie bauen ein Stativ auf, montieren ein schweres Maschinengewehr darauf und nehmen die Tür ins Visier. Wer wird hereinkommen durch diese Tür aus groben Holzbohlen? Ist das hier unser neues Zuhause? Oder nur eine Kampfstellung? Eine der unzähligen Zwischenstationen auf unserer Reise ins Nirgendwo? Niemand gibt uns eine Erklärung. Die Männer kümmern sich nicht um uns, und wir wagen nicht zu fragen. Alle starren auf die Tür und lauschen nach draußen. Wenn ich meine Fantasie nicht zügle, sehe ich da draußen Jeeps und Panzerfahrzeuge auffahren, die ihre Geschützrohre auf diese Tür aus Holzbohlen richten. Eine Lenkrakete, die ihren rauchenden Schweif hinter sich herzieht und deren Sprengkopf, von einem GPS -Sender dirigiert, auf der Natursteinmauer detonieren wird.
David dagegen hat ganz andere Vorstellungen. Er zieht mich sanft in die Nähe des einzigen Fensters und überlegt, wie er unsere Entführer überwältigen könnte, falls sie von außen angegriffen werden.
Ich verkrieche mich auf eine stinkende Decke, in den Winkel, den Davids Körper abschirmt. Auf der einen Seite die schmutzstarrende Wand, auf der anderen David. Das Gefühl der Geborgenheit reicht aus, um wieder einzuschlafen. Angeblich soll in drei Stunden ein neues Auto kommen.
Als ich aufwache, herrscht hektischer Betrieb im Stall. Ein bärtiger Mann kniet sich zu uns nieder und fragt nach unseren Konfektions- und Schuhgrößen, ein anderer bringt Brot, Konfitüren, Apfelsaft, Süßigkeiten und Wasser. Auf der Mineralwasserflasche steht »Nestlé, Switzerland«. Die unschuldigen Tauben, die ihre Jungen
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