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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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entdeckt zu werden, löste einen Kitzel aus, der die Lust an dem Abenteuer noch steigerte.
    Wir dürfen aufrecht sitzen, und obwohl die meiste Zeit ohne Licht gefahren wird, erkennen wir eine flache, sandige Landschaft. Junkie sitzt am Steuer, die Armaturen lassen seine Gesichtszüge bläulich schimmern. Neben ihm sitzt Troll, hin und wieder tauschen sie eine Bemerkung über die Route aus, ansonsten herrscht angespannte Stille.
    Schon nach einer Stunde, wir haben einen Hügelkamm erreicht, sieht man im Osten den Morgen grauen. Zeit für das erste der fünf obligatorischen Gebete am Tag. Der Jeep hält, die Männer steigen aus und breiten unter einem großen Baum ihre Decken aus. Diese Beterei macht mich wahnsinnig, und ich fange an zu protestieren. David beruhigt mich. Der Vorbeter steht auf und kommt auf den Wagen zu. Ich denke, er will mich zurechtweisen, doch wortlos wirft er den Motor an, legt den Gang ein und tritt das Gaspedal durch. Ich werde panisch. Wo will er mit uns hin? Wo ist Junkie? Die anderen?
    Da bremst der Mann, stellt den Wagen ab und geht zu Fuß zurück zu seinen Leuten. Offensichtlich hat ihn unsere Nähe beim Beten gestört.
    Ich verliere die Kontrolle, spüre, wie sich mein Brustkorb verengt und ich zu schluchzen beginne. Wieso fahren wir nicht weiter, verdammt? Können sie ihr Gebet nicht ein einziges Mal abkürzen? Sind sie sicher, dass Allah ihnen aus der Patsche hilft, wenn jetzt eine Militärpatrouille kommt? Es wird Tag. In wenigen Minuten kann man uns kilometerweit sehen. Auf der Hügelspitze geben wir die perfekte Zielscheibe ab.
    Nach einer halben Stunde erheben sie sich und kommen zurück zum Wagen. Sie fahren mit uns durch Sanddünen und Bäche. Als eines der Motorräder stecken bleibt, kümmert Junkie sich nicht darum.
    Der Wagen holpert über einen Feldweg, der eine gewaltige Ebene durchschneidet. Nomaden kreuzen unseren Weg. Die Frauen tragen Wassereimer auf dem Kopf, die Männer, alle mit Bart, treiben Kamele an. Als sie in die Fahrgastzelle blicken, erwidere ich ihren Blick und überlege einen Moment lang, ob ich ihnen Zeichen geben soll. Aber was für Zeichen? Dass ich entführt wurde? Wie sollen sie mir helfen? Gegen dieses schwer bewaffnete Kommando? Und vor allem: warum sollten sie mir helfen?
    Schon seit Tagesanbruch scheinen alle Menschen auf den Beinen zu sein, auf den Feldern wird gearbeitet, Kinder hüten das Vieh. Wir sehen schmutzige Zelte, traurige Mienen.
    Dann wird die Landschaft noch karger, hin und wieder eine verlassene Steinhütte, keine Piste mehr. Wir durchqueren eine Schlucht, wieder eine Ebene. Belutschistan war schon extrem dünn besiedelt, aber dieser Landstrich scheint noch verlassener.
    Die Vorstellung, dass gleich das uns versprochene Haus mit Doppelbett, Dusche und Internetanschluss kommen soll, ist mehr als absurd. Und so lachen wir plötzlich. Mag nun die bizarre Vorstellung schuld sein oder die Müdigkeit oder der Zucker aus dem Nestlé-Apfelsaft, wir lachen uns kaputt, und die Entführer lachen mit.
    Bis sie uns sagen, dass es noch einmal drei Stunden dauern wird. »No problem, no tension« ist wie immer die einzige Erklärung. Die Verschiebung sollte an diesem Tag drei Stunden dauern, am Ende werden es siebzehn sein. Wir kommen an Lehmhäusern vorbei, die von meterhohen Mauern umschlossen sind. Manchmal sieht man Jungen, die unserem Wagen nachstarren. An einem der Häuser halten wir plötzlich. Bewaffnete Männer umringen den Wagen. »Sleep«, rufen die Entführer und breiten eine Decke über uns. Es ist soweit, denke ich. Eine Kontrolle. Noch wird gelacht. Junkie ist verschwunden, und ich fange an zu schwitzen. Meine Hände sind nass, mein Herz rast. Ich stelle mir vor, dass Junkie die Gefahr als Erster erkannt und sich in Sicherheit gebracht hat. Ich höre das metallische Geräusch, mit dem die Kugeln durch das Blech schlagen. Ich glaube zu ersticken unter der Decke und will nur noch hinaus, den Kofferraum aufreißen, an die Luft und rennen. Ich will hier nicht verrecken, neben dem Eisbehälter und dem Apfelsaft, zerrissen von einer Granate »unserer« Panzerfaust.
    David drückt meine Hand und flüstert, alles wird gut.
    »Sleep«, zischen die Entführer.
    Eines der wenigen Wörter, die sie auf Englisch beherrschen. Da sie uns keine Begründung geben können oder wollen, liegen wir da und quälen uns mit Deutungsversuchen, während mein Ruhepuls statt der gewohnten fünfzig Schläge hundertvierzig markiert. Als würde ich rennen. Aber ich bin

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